BVerwG: Zwischen Aktenordner und E-Mail stehengeblieben

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BVerwG: Zwischen Aktenordner und E-Mail stehengeblieben
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FragDenStaat verliert Klage

BVerwG: Zwischen Aktenordner und E-Mail stehengeblieben

von Markus Reuter | Netzpolitik.org

Akten-Aktenordner-Buerokratie-Verwaltungsaufwand-Kritisches-Netzwerk

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art (Verwaltungsgerichtsbarkeit). Das Gericht besteht seit 1952 und hat seinen Amtssitz im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig.

In einer Klage des gemeinnützigen 'Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.', Betreiber der Informationsfreiheitsorganisation FragDenStaat.de, gegen das 'Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat' (BMI) hat das Gericht entschieden, dass staatliche Stellen Twitter-Direktnachrichten (kurz Twitter-DMs) und Nachrichten aus ähnlichen Kanälen prinzipiell herausgeben müssen, wenn diese relevant seien.

Gleichzeitig gab es den staatlichen Stellen einen Freifahrtschein mit auf den Weg: Diese können selbst einstufen, was eine „relevante Nachricht“ ist. Das Gericht ordnet damit Direktnachrichten auf Twitter oder anderen sozialen Netzwerken nicht einmal als richtige Akten ein. (>> Pressemitteilung Nr. 69/2021 des BVerwG vom 28.10.2021).

Damit geht das Urteil an den Realitäten der modernen Kommunikation vorbei und ist irgendwo zwischen Aktenordner und E-Mail stehen geblieben. Richtiger wäre gewesen: Da wo Behörden kommunizieren, da müssen sie auch archivieren.

Wer Facebook, Twitter oder WhatsApp für die offizielle Kommunikation nutzt, der muss auch sehen, wie er die Nachrichten „veraktet“ bekommt.

► Höchst unbefriedigendes Urteil

Auch aus journalistischer Sicht ist das Urteil höchst unbefriedigend. Erstens ist es kaum zu überprüfen, nach welchen Kriterien ein Ministerium oder eine Behörde eine Direktnachricht als „relevant“ einstuft. Und selbst, wenn eine Behörde oder ein Ministerium die Einstufung richtig vornehmen würde, erschwert sie damit das Erkennen der Gesamtkommunikation. Denn bei Recherchen mit dem Mittel der Informationsfreiheit können kleine, irrelevant erscheinende Hinweise ein wichtiges Puzzlestück auf größere relevante Zusammenhänge sein.

Manchmal ist es eine kurze geschriebene Zustimmung, ein kleiner Nebensatz oder eine Mailadresse, die ganz neue Tore und Themen einer Recherche öffnet. Was später für die Öffentlichkeit relevant ist, sollten Ministerien nicht selbst bestimmen dürfen.

Das Urteil (BVerwG 10 C 3.20; Urteil vom 28. Oktober 2021) des Bundesverwaltungsgerichtes trägt also nicht zur Klärung der Situation bei, sondern erschwert es Journalist:innen und Zivilgesellschaft, behördliches Handeln transparent zu machen. Ganz im Gegenteil sind dadurch Kommunikationen auf Twitter oder WhatsApp deutlich geschützter als die behördliche Kommunikation per E-Mail.

Warum es einen Unterschied machen soll, ob das Bundesinnenministerium nun per Mail oder Messenger kommuniziert, wird durch das Urteil nicht deutlich. So wird das Urteil zum Freifahrtschein, Kommunikationen und Direktnachrichten in sozialen Netzwerken zu vernebeln und vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Es erweist der Transparenz von Regierungshandeln einen Bärendienst.

Markus Reuter
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Markus Reuter beschäftigt sich mit den Themen Digital Rights, Hate Speech & Zensur, Desinformation, Rechtsradikale im Netz, Videoüberwachung, Grund- und Bürgerrechte sowie soziale Bewegungen. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org und auf Twitter unter @markusreuter_


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► Quelle: Dieser Text wurde erstveröffentlicht am 29. Oktober 2021 auf NETZPOLITIK.org >> Artikel. Lizenz: Die von NETZPOLITIK verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons (Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0). Die Artikelüberschrift wurde von Helmut Schnug geändert.

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► Bild- und Grafikquellen:

1. Gefüllter Aktenordner, in den man von der Seite reinblickt. Twitter-Direktnachrichten müssen nicht „veraktet“ werden. Foto: Nico Düsing. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).