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Aktualisiert: vor 1 Stunde 38 Minuten

Internes Protokoll: EU-Staaten drehen sich bei Chatkontrolle im Kreis

12. April 2024 - 15:44

Die EU-Staaten haben „diametral gegensätzliche Positionen“ bei der Chatkontrolle, eine Einigung ist weiterhin nicht in Sicht. Das geht aus internen Verhandlungs-Dokumenten hervor, die wir veröffentlichen. Die Bundesregierung will ihre Position aktualisieren, aber auch diese Verhandlungen ziehen sich.

Belgische Innenministerin Annelies Verlinden beim Rat für Justiz und Inneres. – CC-BY 2.0 Belgische EU-Ratspräsidentschaft

Sollen Internetdienste wie Messenger die Inhalte ihrer Nutzer mitlesen, um Straftaten zu suchen und an Behörden auszuleiten? Seit zwei Jahren streiten die EU-Institutionen über diese Chatkontrolle.

Die EU-Kommission fordert eine anlasslose und massenhafte Chatkontrolle und hat eine entsprechende Verordnung vorgeschlagen. Das EU-Parlament kritisiert diese Massenüberwachung und fordert, die Chatkontrolle auf unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu beschränken.

Die EU-Staaten sind gespalten. Manche Länder unterstützen den Vorschlag der Kommission, andere eher die Position des Parlaments. Letzte Woche hat der Rat erneut in der Arbeitsgruppe Strafverfolgung verhandelt. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Sitzung und die Verhandlungsposition Deutschlands.

Deutschland fordert wesentliche Änderungen

Die deutsche Bundesregierung ist sich nicht immer einig. Die Ampel-Ministerien haben ein Jahr verhandelt, um eine erste gemeinsame Position zu beschließen.

Demnach lehnt Deutschland einige besonders umstrittene Teile der Chatkontrolle ab, darunter das Scannen verschlüsselter Kommunikation und Client-Side-Scanning. Andere Aspekte verhandelt die Bundesregierung jedoch weiterhin, zum Beispiel das Scannen unverschlüsselter Kommunikation, das Scannen von Cloud-Speichern und nach welchen Inhalten eigentlich gesucht werden soll.

Deshalb arbeiten die Ministerien zur Zeit daran, ihr Positionspapier zu aktualisieren. Dabei will sich die Bundesregierung der Position des EU-Parlaments annähern. Die bezeichnet sie als „gute Grundlage für die weiteren Verhandlungen“.

Gleichzeitig fordert die Bundesregierung, dass die Zahl der gemeldeten Inhalte mit dem neuen Gesetz nicht weniger wird. Aktuell führen einige Tech-Konzerne eine freiwillige Chatkontrolle durch. Das ist eigentlich verboten, Opfer klagen dagegen. Facebook Messenger ist zudem gerade dabei, das Scannen zu beenden und Kommunikation zu verschlüsseln. Die Zahlen werden also drastisch sinken. Daher ist die deutsche Position mindestens irreführend.

Wann die Bundesregierung ihre aktualisierte Verhandlungsposition beschließen will, ist noch nicht bekannt. Nach Informationen aus Regierungskreisen haben sich die Ministerien eigentlich bereits im Dezember geeinigt, aber nur mündlich. Eine schriftliche Version lässt jedoch weiter auf sich warten, wohl weil die Details doch noch nicht geklärt sind.

Diametral gegensätzliche Positionen

Die Verhandlungen der EU-Staaten sind ebenso zäh. Im Dezember ist die damalige spanische Ratspräsidentschaft gescheitert, eine Einigung zu erzielen. Die aktuelle belgische Ratspräsidentschaft hat ein paar neue Formulierungen vorgeschlagen, die die grundsätzlichen Probleme nicht lösen. Daran hat auch die aktuelle Verhandlungsrunde nichts geändert.

Eine grundsätzliche Frage ist, ob Anbieter verschlüsselte Kommunikation scannen sollen, zum Beispiel mit Client-Side-Scanning. Auch dieses mal sprachen sich einige Staaten dafür aus, darunter Irland und Dänemark. Andere Staaten lehnen das ab, darunter Deutschland, Frankreich und Österreich. Eine Einigung ist weiterhin nicht in Sicht.

Spanien bat den Juristischen Dienst des Rats um Hilfe, einen Kompromiss zu finden. Die Juristen lehnen das ab: „Eine Patentlösung, die allen Interessen der MS gerecht werde, liege nicht auf der Hand.“ Stattdessen verwies der Juristische Dienst auf sein Gutachten, laut dem die Chatkontrolle grundrechtswidrig ist und scheitern wird.

Daraufhin kritisierte die Kommission den Juristischen Dienst. Die Rats-Juristen seien „nicht konstruktiv“, ihr Verhalten entspreche weder ihrer Aufgabe noch ihrem Selbstbild. Die Kommission bezeichnet es als „nicht verantwortbar“, interpersonelle Kommunikation von der Chatkontrolle auszunehmen. Die Beamten hoffen, dass der Juristische Dienst „zu einer konstruktiven Arbeitsweise zurückkehrt“ und am „gemeinsamen Ziel“ mitarbeitet.

Spanien fasste erneut zusammen, dass sich „diametral gegensätzliche Positionen“ gegenüberstehen. Um „eine mehrheitsfähige Position zu finden“ müssen sich „alle EU-Staaten bewegen“ und ihre Positionen aufweichen.

Entgegenkommen oder zu weit gehen

Eine weitere grundsätzliche Frage ist, ob Anbieter die Inhalte aller Nutzer anlasslos scannen sollen – also auch die überwiegende Mehrheit, die nicht einmal indirekt mit Straftaten zu tun hat. Das ist eine wesentliche Forderung der EU-Kommission. Das EU-Parlament und der Juristische Dienst des Rats bezeichnen das jedoch als illegal. Die EU-Staaten sind weiterhin gespalten.

Die Ratspräsidentschaft versucht auch in dieser Frage einen Kompromiss. Dienste sollen weiterhin alle Nutzer überwachen, aber nicht mehr alle gefundenen Inhalte sofort an eine EU-Behörde ausleiten, sondern erst ab einer bestimmten Schwelle. Damit sollen „falsch-positive Treffer“ reduziert werden.

Das lehnen die Chatkontrolle-Befürworter jedoch ab. Sechs Staaten bezeichnen den Vorschlag als „nicht nachvollziehbar“, darunter Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Sie fordern weiterhin, verdächtige Inhalte sofort auszuleiten, sonst könnten Kriminelle das Verfahren „durch die Nutzung unterschiedlicher Konten“ umgehen.

Auch in anderen Fragen gab es keinen Fortschritt. Die Niederlande forderten, wie jedes mal, nicht nach „unbekannter Kinderpornografie“ und Grooming zu suchen, weil das nicht zuverlässig geht. Frankreich fragte erneut, wie Dienste minderjährige Nutzer feststellen sollen. Die EU-Kommission verwies auf „zahlreiche Tools“ zur Altersverifikation und auf eine Taskforce zur Altersverifikation, an der auch die EU-Staaten teilnehmen.

Einigung weiterhin nicht in Sicht

Bereits am Tag nach der Verhandlung haben wir berichtet:

Die EU-Staaten haben gestern über die Chatkontrolle verhandelt. Sie sind einer Einigung nicht viel näher. Die Positionen der Staaten haben sich nicht groß geändert. Die alten Gräben existieren weiter. Die einen wollen eine möglichst massenhafte und anlasslose Chatkontrolle, die anderen wollen sie möglichst einschränken. Zugeständnisse an die eine Seite vergrätzen möglicherweise die andere Seite.

Das Protokoll bestätigt diese Einschätzung. Die EU-Staaten haben keine einzige der strittigen Fragen gelöst. In den Worten der Ratspräsidentschaft: „Es hat eine umfangreiche Debatte stattgefunden, wobei eindeutige Schlussfolgerungen nicht möglich sind.“ Zu einzelnen Vorschlägen gibt es „widerstreitende Positionen“ beziehungsweise „Unterstützung wie Kritik“.

Die belgische Ratspräsidentschaft macht trotzdem einfach weiter. Am Montag tagt die Arbeitsgruppe erneut.

  • Datum: 18.03.2024
  • Von: BMI, Referat CI 6 – Grundsatz Cyberfähigkeiten der Sicherheitsbehörden
  • Abgestimmt mit: BMJ, BMDV, BMWK, BKAmt, BMFSFJ, BMF, AA
  • Betreff: Sitzung der RAGS am 19. März 2024
  • Hier: TOP 1: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down rules to prevent and combat child sexual abuse – Exchange of views on the refined approach suggested by the Presidency (7462/24)
Weisung 1. Ziel des Vorsitzes

Austausch über den weiterentwickelten Vorschlag zur CSA–VO.

2. Deutsches Verhandlungsziel/ Weisungstenor

Vortrag DEU Position zum weiterentwickelten Vorschlag zur CSA–VO und Bekräftigung der Notwendigkeit eines Ausschlusses von Ende-zu-Ende verschlüsselter Kommunikation vom Anwendungsbereich der CSA–VO.

3. Sprechpunkte Allgemein

Aus Sicht der Bundesregierung sind weiterhin wesentliche Änderungen im CSA-Verordnungsentwurf erforderlich, damit dieser aus deutscher Sicht zustimmungsfähig wird, insbesondere ein umfassender Schutz verschlüsselter Kommunikation.

Auch wenn wir daher die Kompromisse der ESP Präsidentschaft – insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Aufdeckungsanordnungen – nicht mittragen konnten, werden wir uns weiterhin aktiv und konstruktiv in die Verhandlungen der CSA–VO einbringen.

Wir sind dabei unsere DEU Stellungnahme nochmals aktualisieren und werden sie dann zirkulieren. Das EP-Mandat, dem wir uns annähern wollen, stellt aus unserer Sicht grundsätzlich eine gute Grundlage für die weiteren Verhandlungen dar. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass der Status quo an CSAM-Meldungen gehalten werden kann. Eine Vergrößerung des Dunkelfeldes ist zu verhindern: Auch nach einem Inkrafttreten der CSA–VO muss CSAM qualitativ und quantitativ in gleichem Umfang wie heute aufgedeckt und gemeldet werden können. Ziel muss weiterhin eine wirksame Bekämpfung von CSA unter Beachtung der Grundrechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie aller Nutzerinnen und Nutzer sein.

Da die Prüfungen innerhalb der Bundesregierung insgesamt noch nicht abgeschlossen sind, legen wir weiterhin einen Prüfvorbehalt ein.

Wir bedanken uns bei der BEL Präsidentschaft für die Erstellung und Übermittlung des weiterentwickelten Diskussionspapiers nebst Textvorschlägen. Das Bemühen, die verpflichtenden Aufdeckungsanordnungen zielgerichteter auszugestalten, unterstützen wir.

Ein Rückschritt hinter den Status Quo und eine Vergrößerung des Dunkelfeldes ist aus unserer Sicht grundsätzlich zu verhindern.

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss durch und trotz CSA–VO umfassend geschützt sein; Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation ist vom Anwendungsbereich auszunehmen.

Unser Prüfvorbehalt auch für den neuen Kompromisstext besteht ausdrücklich fort.

Zum (weiterentwickelten) Konzept allgemein

Den Vorschlag, Dienste oder Teilbereiche von Diensten in Kategorien einzuteilen, abhängig davon, wie risikobehaftet der jeweilige Dienst ist, prüfen wir. Aus hiesiger Sicht handelt es sich dabei teilweise um eine Annäherung an die DEU Position.

Aus unserer Sicht kann das vorgeschlagene Konzept zum einen zielgerichtete und dienstspezifische Risikominimierungsmaßnahmen und zum anderen einen besser auf den jeweiligen Dienst zugeschnittenen Umgang des Diensteanbieters mit Restrisiken, die auch nach entsprechenden Risikominimierungsmaßnahmen noch bestehen bleiben, ermöglichen.

Unabhängig davon darf eine etwaige Klassifizierung der verschiedenen Dienste anhand ihres Risikos in Bezug auf die Verbreitung CSAM nicht dazu führen, dass die Eingriffsschwelle für verpflichtende Aufdeckungsanordnungen abgesenkt wird, insbesondere in Bezug auf den Schutz von Verschlüsselung.

Anbietern von Diensten der höchsten Risikokategorie zu ermöglichen, die Koordinierungsbehörde auf die mögliche Notwendigkeit einer Aufdeckungsanordnung hinzuweisen, könnte eine praktikable Lösung darstellen, die Eigeninitiative der Anbieter sowie deren Wunsch nach Rechtssicherheit zu berücksichtigen .

Wir unterstützen die Ergänzung weiterer Safeguards etwa in Gestalt von Erwägungsgrund 9a und Art. 1 (3a) des EP-Mandats.

Wir bitten um Erläuterung, wie die in Phase 1 (Unterpunkt (a) „Users of interest“ based reporting, Seite 6 des Dokuments 7462/24) beschriebene Ermittlung von Personen technisch realisiert werden kann. Unserem Verständnis nach ist für die Ermittlung Client-Side-Scanning-Technologie vorgesehen. Wir bitten um Bestätigung dieses Verständnisses.

Vorsorglich weisen wir nochmal auf unsere bereits bekannte Position hin: Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, einer Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation führen, schließen wir aber weiterhin aus. Dies gilt auch für Maßnahmen, die auf dem Endgerät des Nutzers stattfinden (Client-Side-Scanning).

Zu den unterbreiteten Formulierungsvorschlägen im (weiterentwickelten) Konzept (ANNEX I) Artikel 1

Ergänzung (etwa in Art. 1 (2a): Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation ist vom Anwendungsbereich der VO ausgenommen (umfassender Schutz von Verschlüsselung).

Wiederaufnahme des gestrichenen Art. 1 (5) alte Fassung.

Präzisierung von Art. 1 (5) neue Fassung, dass Zugang zu E2E-verschlüsselter Kommunikation auch nicht durch freiwillige Maßnahmen der Diensteanbieter möglich.

Artikel 5

Die Risikoanalyse zunächst durch den jeweiligen Diensteanbieter selbst vornehmen zu lassen, ist aus hiesiger Sicht sinnvoll, da dieser seinen eigenen Dienst am besten kennt und am besten einschätzen kann, in Bezug auf welche (Teil-) Bereiche des Dienstes welche Risiken bestehen.

Wir bitten um Erläuterung, wie sich der Einsatz von E2EE – aber auch von VPNs – auf die Risikobewertung des jeweiligen Dienstes auswirkt.

Die Einführung von einheitlichen Bewertungsstandards mittels Templates um der Koordinierungsbehörde die Einordnung zu erleichtern wird begrüßt.

Anbietern von Diensten der höchsten Risikokategorie zu ermöglichen, die Koordinierungsbehörde auf die mögliche Notwendigkeit einer Aufdeckungsanordnung hinzuweisen, könnte eine praktikable Lösung darstellen: Auf diese Weise wird sowohl die Eigeninitiative der Anbieter, als auch deren Wunsch nach Rechtssicherheit berücksichtigt. Wir bitten JD-Rat insoweit höflich um eine Bewertung des Vorschlags.

Artikel 5a

Dass der Vorschlag abgestufte Maßnahmen in Abhängigkeit von der jeweiligen Risikokategorie vorsieht, wird grundsätzlich begrüßt.

Aus unserer Sicht muss in der VO festgehalten werden, wer überprüft, ob die zusätzlichen Maßnahmen durchgeführt wurden und ob diese zur Risikominimierung beitragen konnten.

Eine erneute Risikobewertung nach Abschluss der zusätzlichen Maßnahmen unterstützen wir daher.

Artikel 7

Die Ausnahme von Diensten mit geringem Risiko aus dem Anwendungsbereich von Aufdeckungsanordnungen nebst regelmäßiger Prüfung der Kategorisierung wird begrüßt.

Die Bemühungen der Präsidentschaft, Aufdeckungsanordnungen zielgerichteter auszugestalten und zu berücksichtigende Aspekte im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Aufdeckungsanordnungen festzuschreiben, unterstützen wir.

Dabei stellt das EP-Mandat, dem wir uns annähern wollen, aus unserer Sicht eine gute Grundlage für die weiteren Verhandlungen dar. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass der Status quo an CSAM-Meldungen gehalten werden kann. Eine Vergrößerung des Dunkelfeldes ist zu verhindern: Auch nach einem Inkrafttreten der CSA–VO muss CSAM qualitativ und quantitativ in gleichem Umfang wie heute gemeldet werden können. Ziel muss weiterhin eine wirksame Bekämpfung von CSA unter Beachtung der Grundrechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie aller Nutzerinnen und Nutzer sein.

Wir bitten um Erläuterung, wie die Ermittlung von Personen bzw. Personengruppen technisch realisiert werden soll. Unserem Verständnis nach ist für die Ermittlung Client-Side-Scanning-Technologie vorgesehen. Wir bitten um Bestätigung dieses Verständnisses.

Anstelle von Art. 7 (10) schlagen wir eine Klarstellung vor, dass Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation nicht Gegenstand einer Aufdeckungsanordnung sein kann.

Vorsorglich weisen wir nochmal auf unsere bereits bekannte Position hin: Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, einer Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation führen, schließen wir aber weiterhin aus. Dies gilt auch für Maßnahmen, die auf dem Endgerät des Nutzers stattfinden (Client-Side-Scanning).

Wir treten außerdem dafür ein, Art. 7 (7) zu streichen, und die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Aufdeckungsanordnungen auf Grooming von der „review clause“ abhängig zu machen (3 Jahre nach Inkrafttreten der CSA–VO).

Aus hiesiger Sicht kann das vorgeschlagene Vorgehen zu einem deutlichen Rückfall hinter den Status Quo in Bezug auf CSAM-Meldungen und eine deutliche Vergrößerung des Dunkelfeldes führen. Wir bitten höflich um nachvollziehbare Einschätzung,

Wir bitten um Aufnahme von einer Korrekturpflicht fälschlicherweise erfolgter Markierungen, sollte ein Inhalt fälschlicherweise als CSAM bzw. Grooming klassifiziert und im Nachgang korrigiert worden sein.

Artikel 10

Wir begrüßen die Bemühungen, Cybersicherheit deutlicher zu thematisieren und unterstützen die Einführung weiterer Anforderungen an die Anbieter in Bezug auf Cybersicherheit, wenn gleich diese auch nichts an unserer bekannten Position (Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, einer Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation führen, schließen wir aber weiterhin aus. Dies gilt auch für Maßnahmen, die auf dem Endgerät des Nutzers stattfinden (Client-Side-Scanning) ändern.

4. Hintergrund/Sachstand

Präsidentschaft hat für den März JI-Rat eine Allgemeine Ausrichtung angekündigt. Ende Februar 2024 übermittelte Präsidentschaft ein neues Diskussionspapier, das u.a. eine Konkretisierung der Risikobewertung von Diensten und darauf aufbauend abgestufte Verpflichtungen der Anbieter vorsieht. Die Prüfung des Vorschlags innerhalb der BReg dauert an.

ESP-Vorsitz legte im AStV am 20. Dezember 2023 einen Fortschrittsbericht vor. Darin stellte Vorsitz fest, dass eine Mehrheit für die CSA–VO derzeit nicht vorliege. Zuvor waren (mehrfach angekündigte) Übermittlungen konkreter Texte für eine Allgemeine Ausrichtung ausgeblieben. DEU hatte im AStV für eine Verschiebung des TOPs im JI-Rat votiert.

Am 13.04.2023 hat DEU eine erste grundsätzliche Stellungnahme vorgelegt und wesentliche Änderungen gefordert. Die DEU Forderungen wurden allerdings vom Vorsitz nicht aufgegriffen. Am 27.09.2023 wurde ein DEU Onepager zur Forderung nach einer Aufspaltung des CSA–VO-Entwurfes in einen wesentlich unstrittigen und einen strittigen Teil an die ESP Präsidentschaft sowie die JI-Referenten in der RAG übermittelt. Eine Veröffentlichung im Delegates Portal durch die ESP Präs. erfolgte erst mit deutlicher Zeitverzögerung am 12.10.2023. Auch diese Forderung wurde bisher vom Vorsitz nicht aufgegriffen.

Der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zur wirksameren Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zielt auf die Bekämpfung der Verbreitung von bereits bekannten und neuen Missbrauchsdarstellungen sowie die Verhinderung von Kontaktaufnahmen zu Kindern zu Missbrauchszwecken, sog. „Grooming“ (zusammengefasst: „CSAM“), im digitalen Raum. Der Entwurf verfolgt zwei wesentliche Regelungsbereiche:

1) Abgestufte Verpflichtungen für Anbieter von Online-Diensten: Anbieter sollen zu einem Risikomanagement verpflichtet werden. Wird dabei ein „signifikantes“ Risiko festgestellt, können gezielten Aufdeckungsanordnungen erlassen werden. Erlangen Anbieter Kenntnis von CSAM auf ihren Diensten, muss dieses umgehend an das EU-Zentrum gemeldet werden. Anbieter sollen zur Entfernung einzelner oder mehrerer konkreter Inhalte verpflichtet werden können. Daneben ist die Verpflichtung für App-Stores vorgesehen, Kinder am Herunterladen von Apps zu hindern, die ein hohes Risiko für Grooming darstellen. Internetdiensteanbieter sollen zur Sperrung von URLs verpflichtet werden können.

2) Errichtung eines EU-Zentrums: Gründung dezentraler Agentur mit Sitz in Den Haag und enger Angliederung an Europol. Aufgaben: Verwaltung von Datenbank mit Indikatoren, die bei der Aufdeckung von CSAM verwendet werden müssen; (kostenlose) Zurverfügungstellung von Aufdeckungstechnologien, zentrale Meldestelle, Betroffenenunterstützung. Auf Grundlage der am 14.06.2022 veröffentlichten EuGH-Entscheidung ist die Beteiligung der MS bei Sitzfragen mit KOM neu auszugestalten. Die durch KOM ursprünglich vorgesehene Governance-Struktur wurde im Laufe der Verhandlungen an etablierte Strukturen angeglichen.

  • Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
  • Datum: 04.04.2024
  • Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
  • An: Auswärtiges Amt
  • Kopie: BMI, BMJ, BMWK, BMDV, BMFSFJ, BMF, BKAmt
  • Betreff: Sitzung der RAGS am 3. April 2024
  • Zweck: Zur Unterrichtung
  • Geschäftszeichen: 350.80
Sitzung der RAGS am 3. April 2024 I. Zusammenfassung und Wertung

Die Sitzung befasste sich ausschließlich mit der Diskussion der CSA–VO. Im Schwerpunkt wurden die Artikel 1, 5, 7 und 10 behandelt. Auf Grund des unterschiedlichen Meinungsbildes der MS stellte Vorsitz fest, eindeutige Schlussfolgerungen zu seinen neuen Vorschlägen seien noch nicht möglich. Zahlreiche MS hatten aufgrund der kurzfristigen Übermittlung des Kompromissvorschlags Prüfvorbehalte eingelegt.

Die nächste Sitzung findet am 15. April 2024 statt und soll sich auch mit der CSA–VO befassen.

II. Im Einzelnen TOP 1: Information der Präsidentschaft

Vorsitz kündigte Vorgehen gegen „migrant smuggeling“ und Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung als weitere Schwerpunkte der zweiten Hälfte der Präsidentschaft an. Mögliche zusätzliche RAGS Termine seien der 7. und 21. Mai 2024.

Verlängerung des Mandats des stellvertretenden Europol Exekutivdirektors Lecouff sei eingeleitet worden (schriftliches Verfahren).

Hinweis auf Mayor Sports Event Treffen am 11. April 2024 in Brüssel, Informationen lägen den Delegationen bereits vor.

TOP 2: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down rules to prevent and combat child sexual abuse

Vorsitz begann mit der Aussprache zur Methodologie. Diese müsse zukunftsoffen sein, daher delegierte Rechtsakte. Gleichzeitig bedürfe es hinreichend konkreter Vorgaben im VO-Text, um grundrechtlich relevante Inhalte angemessen zu adressieren. Auf der Grundlage erster Rückmeldungen der MS habe Vorsitz u.a. Angleichungen an Artikel 33 DSA vorgenommen sowie Zahl der Kategorien reduziert. Ziffer 3 lehne sich an Vorschlag der ESP Präsidentschaft und EP Position an.

DEU trug zu allen Punkten anhand der abgestimmten Weisung vor. Es werden im Folgenden daher die relevanten Wortmeldungen der anderen MS dargestellt.

CZE präferierte Durchführungsrechtsakte an Stelle delegierter Rechtsakte. Vorsitz verwies auf JD-Rat, der delegierte Rechtsakte für angemessen halte. Letztlich hinge es davon ab, was in Artikel 5 Absatz 2a bzw. in den Anhängen geregelt werde. KOM wies daraufhin, dass es bei der Kategorisierung besonders großer Dienste in Ziffer 1 zu Überschneidungen kommen könnte.

NLD legte PV ein; Ansatz weiterer Kategorisierung werde grundsätzlich begrüßt. Allerdings lehne NLD dies für Grooming weiter ab. Hinzukomme, dass sich die Medienlandschaft schnell ändere, Einstufungen könnten künftig ggf. eine kurze Halbwertszeit haben. Vorsitz erläuterte auf DEU Nachfrage, dass Aussagen zur tatsächlichen Nutzung der Dienste durch Kinder weiterer Konkretisierung bedürften. KOM äußerte Bedenken bzgl. Kategorisierung auf Grundlage von Safety-by-Design Maßnahmen. In Angleichung an die Vorgaben des DSA seien folgende drei Kategorien zur Einstufung von Diensten vorzugswürdig: (1) Type of Service, (2) Struktur/Aufbau des Dienstes, (3) Nutzung des Dienstes. HUN legte positiven PV ein. FRA äußerte Skepsis gegenüber der vorgeschlagenen binären Methodik. Erforderlich seien Fragen, die von allen Diensten beantwortet werden können, ja/nein Antworten dürften dem nicht gerecht werden. Eine Kombination von Methoden, d.h. vier hierarchische Ebenen + Stichprobenverfahren, könne dagegen zielführend sein. ESP stimmte FRA Position weitgehend zu. FIN legte PV ein. Das vorgeschlagene Verfahren sei sehr kompliziert, es bestünden Zweifel, ob alle Dienste derartige Auskünftige geben könnten. Eine Kombination von Methoden sei vorzugswürdig.

Vorsitz führte die Debatte zum VO-Text fort. Anpassungen der Präsidentschaft entsprächen mehrheitlich den Kommentaren der MS aus der letzten RAGS. Vorsitz bat Delegationen konkrete Positionen zu den vorgeschlagenen Neuerungen vorzutragen.

Artikel 1: Gegenstand und Anwendungsbereich

FRA – unterstützt durch AUT und DEU – forderte Wiederaufnahme der alten Fassung des Absatz 5. Aus NLD-Sicht seien EG an aktuelle Fassung von Absatz 5 anzupassen.

Auf Nachfrage erläuterte Vorsitz, die Streichung von Absatz 2a, 2b und 4a sei unter ESP-Präsidentschaft auf Bitten mehrerer MS erfolgt. KOM erinnerte daran, dass Inhalte der gestrichenen Absätze in EG verschoben worden seien.

POL legte PV ein. Grundsätzlich seien Änderungen positiv zu bewerten. Insbesondere die Einführung eines Verdachtsmoments sei zu begrüßen. Die neuen KOM-Befugnisse, Rechtsakte zu erlassen (vgl. Artikel 10), seien ebenfalls positiv. Insgesamt bleibe aber Verhältnismäßigkeit zu wahren.

IRL stimmte neuer Fassung von Absatz 5 zu, die alte Fassung werde dagegen weiterhin abgelehnt. CZE legte PV ein und hielt an der Streichung von Absätzen 2a und 2b ausdrücklich fest. LUX legte PV ein. Auch HUN legte PV ein und sagte Vorsitz konstruktive Arbeit bei der Kompromissfindung zu. DNK trug Absatz 5 grundsätzlich mit.

ESP wiederholte Unterstützung für das Dossier. Ziel müsse sein, eine rechtlich sichere und politisch akzeptable Lösung zu finden. Dazu könne ggf. auch JD-Rat mit seiner Expertise beitragen. CYP und CZE unterstützten diesen Vortrag. Vorsitz stellte klar, dass es Aufgabe der RAGS sei, politisch tragbare Lösungen zu finden.

JD-Rat betonte seine beratende Funktion. Eine Patentlösung, die allen Interessen der MS gerecht werde, liege nicht auf der Hand. Im Übrigen verwies JD-Rat auf seine Stellungnahme.

KOM stellte fest, dass sich JD-Rat bei den Verhandlungen des Dossiers in den vergangen zwei Jahren nicht konstruktiv gezeigt habe. Dies Verhalten entspreche weder der Aufgabe noch dem Selbstbild von JD-Rat. Ein Ausschluss von interpersoneller Kommunikation aus dem Anwendungsbereich sei nicht verantwortbar. Es bestehe daher die Hoffnung, dass JD-Rat künftig zu einer konstruktiven Arbeitsweise zurückkehren und an dem gemeinsamen Ziel einer politisch tragfähigen Lösung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen mitarbeiten werde.

ESP stellte klar, dass nicht notwendigerweise eine neue Stellungnahme von JD-Rat, sondern vielmehr Hilfestellung erbeten werde. Es seien viele Fortschritte erzielt worden, RAGS sei in der Verantwortung eine politische Lösung zu finden. Allerdings stünden sich in der RAGS diametral gegensätzliche Positionen gegenüber. Es gelte eine mehrheitsfähige Position zu finden, bei der sich alle MS bewegen müssten.

Artikel 3: Risikobewertung

Vorsitz schlussfolgerte grundsätzliche Zustimmung zu den vorgeschlagenen Änderungen.

Artikel 5: Risikoberichte und -kategorisierung / EG 18b

FRA regte Ergänzung an, wonach Anbieter selber Neu-Kategorisierung seines Dienstes beantragen können soll. Vorsitz erläuterte, dass die Möglichkeit des Flaggens eigener Risiken gem. Absatz 1 Unterabsatz 2 unabhängig von der Risikokategorisierung bestehe. Die Koordinierungsbehörde könne in Folge eines solchen Hinweises auch eine Neu-Kategorisierung vornehmen. Mit Blick auf Artikel 5b bestehe ggf. eine Missbrauchsgefahr, dieses Risiko sei weiter auszuloten.

LVA legte PV ein. Offen bleibe, in welchem Verhältnis Risikokategorisierung zu Artikel 5b stehen. Zu Artikel 3 reichte LVA die Frage nach, wie sich Zeitpläne zum Erlass von Aufdeckungsanordnungen zur jährlichen Risikobewertung verhalte. Vorsitz erläuterte, Risikobewertung unterliege einer Frist, könne aber auch früher durchgeführt/wiederholt werden.

Auf DEU Nachfrage erläuterte Vorsitz, dass Kategorisierung der Dienste nicht öffentlich werde. Es handele sich um interne Informationen der Koordinierungsbehörden (vgl. EG 18b).

Artikel 5a/5b

LVA wiederholte, dass es im Zusammenhang mit Artikel 5b auch begrifflicher Abgrenzung zur Risikokategorisierung bedürfe. Vorsitz stellte grundsätzliche Zustimmung zu den Änderungen fest.

Artikel 7: Erlass von Aufdeckungsanordnungen / EG 22a/ EG 23a

NLD erinnerte an verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich Vorgaben zur anordnenden Behörde. Im Übrigen würden zusätzliche Anforderungen, insbesondere Konkretisierung auf Dienste mit hohem Risiko, begrüßt. Bezüglich der Zielgerichtetheit von Anordnungen bestünden weiter Zweifel. Neues CSAM und Grooming sollten aus Anwendungsbereich gestrichen werden. Kürzere Anordnungsdauer könnte zur Verhältnismäßigkeit beitragen.

FRA kritisierte die Streichung der Verwaltungsbehörde als mögliche Anordnungsbehörde. Unabhängige Verwaltungsbehörden seien in FRA Justizbehörden grundsätzlich gleichgestellt, Schaffung eines Präzedenzfalls sei zu verhindern. Wahl, welche Behörde eine Anordnung erlässt, sollte MS überlassen bleiben. Bzgl. der Begrenzung der Aufdeckungen von Grooming auf Kommunikation, bei der einer der beiden Teilnehmer ein Kind ist, stelle sich die Frage, wie dies festgestellt werden könne. Im Zusammenhang mit Absatz 10 bestünden Zweifel an Berechnungsmethoden, dazu werde Austausch auf Expertenebene angeregt.

BEL erläuterte, die Addition von Treffern sei Ausgangspunkt zur Reduzierung von Fehlerquote.

KOM erläuterte zur Altersverifikation stünden zahlreiche Tools zur Verfügung. Verweis u.a. auf „Taskforce zur Altersverifikation“ an der MS teilnähmen. Zusage eines Austausches mit FRA Experten.

SWE legte PV für gesamten Vorschlag ein. Auch SWE sprach sich für Wiederaufnahme unabhängiger Verwaltungsbehörde in Absatz 1 aus. Die Reduzierung der Fehlerquote gem. Absatz 10 werde grundsätzlich begrüßt, es bedürfe allerdings Abwägung zwischen Verbrechensbekämpfung und Reduzierung der Fehlerquote. Die Anhebung der Schwelle, insbes. für bekanntes Material, dürfte materielle Konsequenzen haben.

Vorsitz erinnerte an Ziel, falsch-positive Treffer zu reduzieren.

In Absatz 4 lit. ca regte IRL an, auf „intrusiveness“ abzustellen. Im Übrigen dankte IRL für Änderungen und legte PV zu dem zusätzlichen Kriterium der „users of interest“ in Absatz 10 ein. IRL verstehe, dass Vorsitz anderen MS entgegenkommen wolle. Allerdings sei es fragwürdig, einen CSAM-„Hit“ zu ignorieren. In Fällen, in denen es ggf. nur einen Treffer gebe, würden Täter dann nicht verfolgt werden können. Dies sei für IRL – unterstützt durch CYP, BGR, ROM, LVA und HUN – nicht nachvollziehbar. Technologien mit minimaler Fehlerrate gebe es bereits seit mehreren Jahren.

Aus CYP-Sicht sollte bereits ein „Hit“ genügen, um ein Verdachtsmoment auszulösen. Absatz 10 ermögliche Tätern u.a. durch die Nutzung unterschiedlicher Konten, das „Hit-Verfahren“ zu umgehen. Tätern dürften keine Schlupflöcher gegeben werden.

AUT dankte für Bestrebungen zielgerichteter Ausgestaltung. AUT grundsätzliche Bedenken bestünden allerdings weiterhin fort, man beziehe sich dabei auch auf JD-Rat.

SVN legte PV ein und wiederholte Wunsch nach zielgerichteten Anordnungen. Es bedürfe Konkretisierung dessen, was ein „Hit“ im Sinne von Absatz 10 darstelle.

Vorsitz sagte auf Nachfrage zu, den relevanten Zeitraum für die Addition von „Hits“ in einem EG zu konkretisieren.

CZE begrüßte Absatz 10 unter der Bedingung, dass für bekanntes CSAM ein „Hit“, für unbekanntes CSAM zwei und für Grooming drei „Hits“ vorgesehen werden. HUN und LVA unterstützten diesen Vorschlag.

Für IRL und LVA wäre es leichter Absatz 10 zu unterstützen, wenn – angesichts technologischen Fortschritts – künftig eine Änderung der Schwelle möglich sei.

DNK legte PV ein.

Vorsitz stellte unterschiedliche Positionen zu Artikel 7 – insbesondere Absatz 10 – fest.

Artikel 10: Technologien und Schutzvorkehrungen / EG 26/EG 26a

Zu Absatz 1 widersprach FRA neuer KOM-Kompetenz, Technologien zu zertifizieren. FRA setze sich vielmehr für eine starke Rolle des Technologieausschusses ein. Im Rahmen weisungsgemäßen Vortrags unterstützte DEU Stärkung des Technologieausschusses.

KOM reagierte, MS hätten ausschließlichen Einsatz validierter Technologien gefordert. Eine solche Aufgabe könne rechtlich nicht an Agenturen übertragen, sondern müsse durch MS oder KOM durchgeführt werden. MS wären eng in die Umsetzung involviert.

Vorsitz bat DEU um Vorschläge, inwieweit identifizierte Cybersecurity-Risiken bei künftigen Anordnungen Berücksichtigung finden könnten. Die Definition von E2EE sei auf Wunsch mehrerer MS aufgenommen worden, diese MS seien eingeladen ggf. Ergänzungen zu übermitteln.

Artikel 43/47a/50/53a/85

FRA begrüßte die Stärkung des Technologieausschusses in Artikel 50.

Vorsitz schlussfolgerte, dass eine umfangreiche Debatte stattgefunden habe, wobei eindeutige Schlussfolgerungen nicht möglich seien. Zu Artikel 1 habe umfassende Aussprache stattgefunden, hier zeigten sich die widerstreitenden Positionen im Rat. Zu Artikel 7 – insbes. Absatz 10 – habe es Unterstützung wie Kritik gegeben, CZE habe einen Kompromissvorschlag gemacht. Zu Artikel 10 habe es nur wenige Kommentare gegeben, die beratende Funktion des Technologieausschusses könnte im Rahmen weiterer Textarbeit gestärkt werden.

Nächste Schritte: Artikel 5 Absatz 2a werde durch Vorsitz ergänzt. Vorsitz werde Schlüsselkriterien festhalten und auch die Anhänge anpassen. Vorsitz bat um schriftliche Kommentare der MS bis Freitag, 5. April 2024. Nächste Sitzung finde am 15. April 2024 statt, dort werde auch die CSA–VO weiter behandelt.

Vorsitz kündigte an, für den Zuständigkeitsbereich der RAGS ggf. weitere RAG- oder JI-Referentensitzungen anzuberaumen. Auf Nachfrage von FIN und FRA gab Vorsitz an, hierfür noch keine Planungen für evtl. Termine oder Themen mitteilen zu können. Dafür sei es noch zu früh, da dies von verschiedenen Faktoren abhänge.

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Auch AfD stimmt dafür: Bundestag beschließt Bezahlkartengesetz

12. April 2024 - 11:51

Der Bundestag hat dem Gesetz zu Bezahlkarten zugestimmt. Sowohl die Regelungen als auch die Karten für Asylsuchende selbst wurden im Vorfeld viel kritisiert. Denn sie machen es denen noch schwerer, die sowieso schon wenig haben.

Markus Söder darf sie präsentieren, aber nutzen muss er sie nicht: die Bezahlkarte in Bayern. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bihlmayerfotografie

Der Bundestag hat am heutigen Freitag über das Gesetz zu Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht abgestimmt. Obwohl es in dem Vorhaben ursprünglich vor allem über Ausweitungen des Ausländerzentralregisters ging, drehte sich die morgendliche Bundestagsdebatte mehrheitlich um Bezahlkarten. Denn der Innenausschuss des Bundestags hat den Gesetzentwurf in seiner Beschlussempfehlung erweitert und zusätzlich Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes vorgeschlagen. Die sollen bundesweit den Einsatz von Bezahlkarten für Asylsuchende ermöglichen.

Dem Gesetz und der Beschlussempfehlung zugestimmt haben die Bundestagsfraktionen der Ampel – mit einer Ausnahme bei den Grünen – sowie die AfD und die Gruppe des BSW. Dagegen gestimmt haben die Unionsfraktion, die einen eigenen Vorschlag vorgelegt hatte, und die Gruppe der Linken.

Bezahlkarten gab es schon vor dem Gesetz

Dass die Bezahlkarte kommt, war schon vor der Abstimmung klar. Ihre Einführung war lange vor dem Gesetz beschlossen, die Frist für die gemeinsame Ausschreibung von 14 Bundesländern ist bereits verstrichen. In Bayern sowie einzelnen Kommunen und Kreisen sind die Karten bereits im Einsatz. Ob es überhaupt ein solches Gesetz braucht, war also lange umstritten, vor allem die Grünen zweifelten das an. Nun ist es dennoch da.

Die Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz nennen die Bezahlkarte jetzt als weitere Möglichkeit neben Geld- und Sachleistungen, um den Bedarf Asylsuchender zu decken. Zuletzt hatten sich die Regierungsfraktionen noch darauf geeinigt, explizit in den Entwurf zu schreiben: Bedarfe, die nicht durch Bezahlkarten gedeckt werden können, müssen trotzdem als Geldleistungen erbracht werden. Damit wollen sie offenbar Bedenken begegnen, dass mit einer Bezahlkarte nicht sicher das Existenzminimum der Betroffenen gedeckt werden kann, wenn etwa Bargeldabhebungen und Überweisungen eingeschränkt sind.

Viel Spielraum für die Bundesländer

Denn zum einen lässt sich nicht alles in Deutschland direkt vor Ort mit Karte bezahlen – sei es das Eis für die Kinder an der Theke oder eine Anwaltsrechnung. Zum anderen können Asylsuchende mit einer eingeschränkten Bezahlkarte nicht frei bestimmen, wie sie ihr Geld einsetzen. Und viele Länder und Kommunen wollen Einschränkungen implementieren – laut dem Gesetz steht ihnen das auch frei. Von einem Abhebelimit von 50 Euro im Monat bis hin zum Ausschluss bestimmter Händlergruppen geistern viele Forderungen durch die Debatte.

Einschränkungen bedrohen das Existenzminimum

Für die Betroffenen werden diese Einschränkungen schnell zum Problem: Ein günstiges Fahrrad auf dem Flohmarkt wird unerreichbar, wenn es sich nicht bar bezahlen lässt. Die Asylsuchenden müssten dann womöglich eine teurere Option wählen – oder ganz verzichten, weil ihnen sowieso sehr wenig Geld zur Verfügung steht.

Kritik zur Bezahlkarte gab es im Vorfeld von zahlreichen Fachleuten, etwa in der Bundestagsanhörung am vergangenen Montag. Neben den deutlichen Einschränkungen für die Nutzer:innen der Karte zweifeln Migrationsexpert:innen an, ob ein proklamiertes Ziel der Karten überhaupt erreicht werden kann: Die Karten sollen Asylsuchende abschrecken, nach Deutschland zu kommen. So bezeichneten etwa FPD-Politiker die Sozialleistungen hierzulande als Pull-Faktor – also als Anreiz, nach Deutschland zu fliehen.

Eine Idee aus den 90ern

Die Theorie der einfachen Pull-Faktoren gilt jedoch seit langem als überholt. Dass die Höhe oder Art solcher Leistungen maßgeblich relevant für eine Fluchtentscheidung ist, lässt sich nicht belegen. Wesentlich maßgeblicher sind hingegen Kriegs- und Krisensituationen in den Herkunftsländern der Schutzsuchenden. Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit sind für viele relevanter als die Höhe der Sozialleistungen.

Worum es im Gesetz ursprünglich ging

Im ursprünglichen Kern des Gesetzes zu Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht ging es etwa um die Ausweitung des Ausländerzentralregisters um Sozialdaten und neue Behörden, die automatisiert Daten aus einem der größten Datenbestände des Landes abrufen können sollen. Daran änderte sich im Vergleich zum Entwurfsstand Anfang des Jahres nicht viel.

Jedoch gab es eine Nachbesserung bei der viel kritisierten Volltextspeicherung von Asylbescheiden und Gerichtsurteilen. Die wird nunmehr begrenzt, zumindest bei positiven Entscheidungen. Da reiche ein Grundtenor aus.

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Zwischenbericht zu Doppelausbau: Marktmacht der Telekom spielt eine Rolle

11. April 2024 - 17:57

Ein Zwischenbericht der Bundesnetzagentur soll Klarheit darüber schaffen, ob die Telekom Deutschland ihre Marktmacht missbraucht und strategisch die Glasfasernetze ihrer Konkurrenz überbaut. Eine belastbare wettbewerbliche Bewertung liefert die Bestandsaufnahme aber ausdrücklich nicht.

Will sich angesichts der komplexen Gemengelage beim Überbau noch nicht endgültig festlegen: Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Funke Foto Services

Verhindern wirklich schmutzige Tricks den raschen Ausbau von Glasfasernetzen? Darüber streitet die Branche schon seit Jahren. Der Vorwurf, den vor allem kleinere Netzbetreiber vorbringen: Die Marktführerin Telekom Deutschland solle ihren Glasfaserausbau besonders in Regionen vorantreiben oder ihn dort ankündigen, wo bereits ihre Wettbewerber tätig sind. Dieser „strategische Überbau“ soll systematisch die Geschäftsmodelle der Konkurrenz angreifen, sie vom Markt verdrängen und insgesamt den Wettbewerb beschädigen.

Seit Sommer vergangenen Jahres untersucht die Bundesnetzagentur, ob da wirklich etwas dran ist. Nun hat die Regulierungsbehörde einen lange überfälligen Zwischenbericht vorgelegt, der einen ersten Überblick verschaffen soll. Einen abschließenden Bericht will sie erst „zu gegebener Zeit in geeigneter Form veröffentlichen“, heißt es in dem Papier. Auch betont der Zwischenbericht, dass sich daraus noch keine belastbaren Rückschlüsse ziehen lassen.

Dennoch liege „erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme mit Doppelausbaufällen aus der Praxis“ vor, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, in einer Pressemitteilung. Der Bericht zeige insbesondere zwei Punkte auf: „Einerseits sind parallele Ausbauvorhaben grundsätzlich über den gesamten Markt und in unterschiedlichen wettbewerblichen Konstellationen zu beobachten“, sagt Müller.

Zugleich stellt der Regulierer fest: „Andererseits deuten die Ergebnisse auf die grundsätzliche Relevanz der Marktposition des doppelt ausbauenden Unternehmens hin.“ Soll heißen: Die Marktmacht der Telekom Deutschland scheint eine Rolle zu spielen. Aber trotzdem gelte laut Müller: „Eine belastbare wettbewerbliche Bewertung ist auf Basis der Meldungen jedoch noch nicht möglich.“

Telekom springt häufiger auf bestehende Netze auf

Insgesamt habe die Monitoringstelle für Glasfaser-Doppelausbau 427 Fälle untersuchen können. Gemeldet haben das die Betreiber selbst, aber auch Kommunen oder sonstige Gebietskörperschaften. Es handle sich indes weder „um eine Vollerhebung noch um eine repräsentative Stichprobe“. In rund der Hälfte der Fälle ist die Telekom Deutschland als später ausbauendes Unternehmen aufgetreten. Die Zahlen halten sich also grob die Waage, wobei die Telekom Medienberichten zufolge (€) offenbar eine Nachfrist für ihre Meldungen erhalten hatte.

Dabei habe sich jedoch gezeigt, dass im Vergleich zu ihren Wettbewerbern die Telekom „häufiger kurzfristig auf den Vertriebsstart eines zuerst aktiven Wettbewerbers reagiert oder nur lukrative Kerngebiete erschließt.“ Die genauen Gründe dafür bleiben allerdings unklar, entsprechend lässt sich dies noch nicht bewerten, wie der Zwischenbericht unermüdlich betont.

Keine Anhaltspunkte sollen bislang für den Vorwurf gefunden worden sein, dass ein Ausbau angekündigt, anschließend aber nicht weiterverfolgt wurde. Bei rund einem Fünftel der „Telekom-Fälle“ soll es hingegen Indikationen für einen (Teil-)Rückzug des erstausbauenden Wettbewerbers gegeben haben, umgekehrt jedoch nicht.

Streit um Interpretation

Trotz der offenbar weiterhin unklaren Lage tobt nun ein Kampf um die Interpretation des Berichts. „Die Überbau-Vorwürfe fallen zusammen wie ein Kartenhaus“, sagt etwa eine Telekom-Sprecherin zu netzpolitik.org. Erstens seien die Fallzahlen angesichts von 11.000 Kommunen in Deutschland niedrig. Zweitens werde in der Hälfte der Fälle die Telekom überbaut, so die Sprecherin. „Es findet kein strategischer Überbau durch die Deutsche Telekom statt.“

Gegenteilig sehen dies die Wettbewerber. „Die Bundesnetzagentur stellt der Telekom ein verheerendes Zeugnis aus“, heißt es in einem gemeinsamen Pressestatement des Bundesverbands Breitbandkommunikation (BREKO) und des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM). Anstatt die richtigen Schlüsse aus den Zahlen zu ziehen, übe „sich die Behörde – wie offenbar von der Bundesregierung gewünscht – in Zurückhaltung und spielt weiter auf Zeit.“

Diese Verzögerungstaktik sende ein fatales Signal an den Telekommunikationsmarkt und an die Unternehmen, die in Glasfasernetze investieren wollen, so die Stellungnahme. In diese Richtung stößt auch der Breitbandverband ANGA, dessen Geschäftsführerin Andrea Huber „sofortige Maßnahmen“ fordert.

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Kategorien: Externe Ticker

Netzsperre für Wissenschaft: Größte deutsche Provider blockieren Sci-Hub

11. April 2024 - 16:12

Millionen wissenschaftliche Aufsätze sind auf Sci-Hub ohne Bezahlschranke verfügbar. Der Verlagsbranche ist die Seite deshalb ein Dorn im Auge. Die „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ hat jüngst eine Netzsperre empfohlen. Fachleute warnen vor Overblocking.

Die großen Provider haben die Empfehlung für eine Netzsperre umgesetzt. – Screenshot: Sci-Hub / Monitor: Pixabay / Logos: Vodafone, Telekom, 1&1, Telefónica; Montage: netzpolitik.org

Deutschlands größte Internet-Provider haben den Zugang zu Sci-Hub gesperrt. Das bestätigen Vodafone, Telekom, 1&1 und Telefónica auf Anfrage von netzpolitik.org. Die Online-Bibliothek Sci-Hub macht wissenschaftliche Aufsätze und Forschungsarbeiten kostenlos zugänglich, auch wenn die dahinter stehenden Verlage sie nur hinter einer Bezahlschranke veröffentlicht haben. Aktuell verzeichnet Sci-Hub rund 85 Millionen Aufsätze.

Grund für die Netzsperre ist eine Empfehlung der „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“, kurz CUII. Auf der CUII-Website ist das dazu gehörige Schreiben auf den 8. Januar datiert. Die Telekom habe die Sperre am 22. März umgesetzt. Die Clearingstelle hat es sich zur Aufgabe gemacht, Netzsperren für „strukturell urheberrechtsverletzende“ Websites zu empfehlen. Mitglied der CUII sind einerseits Internet-Provider, andererseits Branchenverbände, etwa aus den Bereichen Film, Musik, Sport, Gaming und Verlagswesen.

Die Netzsperre für Sci-Hub ist ein Novum in der Geschichte von CUII. Bislang hat die Organisation lediglich Sperren für Websites mit Unterhaltungsinhalten empfohlen. Auf den betroffenen Seiten lassen oder ließen sich etwa Serien, Filme, Sportereignisse und Spiele streamen oder herunterladen.

Im Vergleich dazu sticht Sci-Hub hervor, weil die Inhalte dort nicht der Unterhaltung dienen. Sci-Hub gehört für sehr viele Studierende, Forscher*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen fest zum Recherche-Alltag. Dank Sci-Hub sparen sie sich den – auch zeitlich – immensen Aufwand, hinter Bezahlschranken verborgene Aufsätze einzeln zu besorgen. Auch kostenlos verfügbare Paper macht Sci-Hub einfach zugänglich. Je nach Zeitpensum würde ein Verzicht auf Sci-Hub bedeuten, dass manche Forschungsergebnisse schlicht ignoriert würden.

Nicht alle Provider machen mit

Netzsperren lassen sich zwar einfach umgehen, zum Beispiel mit alternativen DNS-Servern oder VPN-Diensten. Dennoch gelten sie als besonders scharfes Mittel, weil sie auch für politische Zensur eingesetzt werden können. Außerdem beeinträchtigen Netzsperren mehrere Grundrechte. Zum Beispiel die Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung von Nutzer*innen, die nach einer Netzsperre nicht mehr ohne Hindernisse auf ein Angebot zugreifen können. Außerdem gibt es den Grundatz der Netzneutralität, der besagt: Daten im Netz sollen frei und gleich behandelt werden. In Deutschland muss deshalb genau abgewogen werden, ob eine Netzsperre gerechtfertigt ist.

Eigentlich können Provider verlangen, dass eine solche Abwägung der Grundrechte vor Gericht passiert. Die Empfehlungen der CUII sind allerdings eine Art Abkürzung, um sich dieses Prozedere zu sparen. Die CUII spricht lediglich Empfehlungen für Netzsperren aus. Geprüft werden diese Empfehlungen nicht vor Gericht, sondern von einem dreiköpfigen CUII-Ausschuss und der Bundesnetzagentur. Zwar könnten Internet-Provider solche Empfehlungen einfach ignorieren – als CUII-Mitglieder setzen sie die Sperren allerdings um. Bereits im Jahr 2021 kritisierte Urheberrechts-Experte Felix Reda auf heise online dieses Konstrukt als „private Sperrinfrastruktur“. Die Internetprovider seien vor dem Druck der Unterhaltungsindustrie eingeknickt.

Es sind jedoch nicht alle Internet-Provider Mitglied der CUII. So schreibt uns etwa die Pressestelle des Berliner Providers Pÿur: „Sperrempfehlungen der CUII sind für uns rechtlich nicht bindend und werden unsererseits nicht vorgenommen.“ Netzsperren führe der Provider „nur auf amtliche Anordnung“ aus. „Und selbst hier hinterfragen wir juristisch, inwieweit es sich beim Erlass von Sperrverfügungen um berechtigte Antragsteller handelt.“

GFF: Sci-Hub-Sperre als Overblocking

Wir haben die vier größten deutschen Provider gefragt, inwiefern sie selbst eine Netzsperre von Sci-Hub für unangemessen halten. Immerhin gehe es um die Freiheit von Wissen in der digitalen Gesellschaft. Ein Telekom-Sprecher schrieb uns, die Debatte sei „zunächst politisch zu führen“. Ähnlich antworteten Telefónica und Vodafone in einem teils wortgleichen Statement. Die Frage nach freiem Wissen habe keinen Einfluss auf die Bewertung als urheberrechtswidrig; dafür „wären Gesetzesänderungen erforderlich“.

Kritik an der Netzsperre für Sci-Hub kommt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der gemeinnützige Verein schützt Grundrechte durch strategische Gerichtsverfahren. GFF-Anwalt Joschka Selinger schreibt, die Sperrung von Sci-Hub führe zu „Overblocking in einem grundrechtlich besonders sensiblen Bereich“. Sci-Hub bietet nämlich nicht nur Zugang zu Inhalten, die sonst hinter einer Bezahlschranke liegen, sondern auch zu zahlreichen legalen Open-Access-Publikationen. Die Sperre habe weitreichende Folgen für die Wissenschafts- und Informationsfreiheit.

Die Netzsperre sei zudem nicht in einem öffentlichen Gerichtsverfahren verhandelt worden, kritisiert Selinger, sondern hinter verschlossenen Türen. „So ist beispielsweise offen, ob die Methodik der CUII zur Ermittlung des Verhältnisses rechtmäßiger und rechtswidriger Inhalte im Kontext wissenschaftlicher Publikationen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten könnte“.

Sci-Hub unter alternativen Domains erreichbar

Gegenüber netzpolitik.org verteidigt die CUII ihre Empfehlung. Das Prüfverfahren orientiere sich an der geltenden Rechtslage und Rechtssprechung. „Die Prüfausschüsse sind besetzt mit ehemaligen Richtern des Bundesgerichtshofs“, teilt die CUII mit. Bei der Prüfung habe die CUII bereits berücksichtigt, dass kein „unverhältnismäßiges Overblocking legaler Inhalte“ stattfinde.

Die Bundesnetzagentur sieht das ähnlich. „Auch unter Berücksichtigung von Creative-Commons-Lizenzen überwiegt der Anteil der urheberrechtswidrigen Inhalte, dass die Voraussetzungen für einen Sperranspruch gegeben sind“, schreibt uns ein Sprecher.

Die CUII-Empfehlung betrifft zunächst nur bestimmte Domains; es ist zu erwarten, dass die Bibliothek auf alternative Domains ausweichen wird. Ein Katz-und-Maus-Spiel mit Rechteinhaber:innen ist Sci-Hub ohnehin bereits gewohnt. Meist genügt eine Anfrage per Suchmaschine, um aktuell erreichbare Domains zu finden. Dennoch bedeutet das kein Ende des Widerstands aus Deutschland. „Neue Domains können in einem beschleunigten Verfahren gesperrt werden“, teilt die CUII mit.

Zu den Mitgliedern der CUII gehören auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und STM, der Internationale Verband der Wissenschaftlichen Verlage. STM hat laut CUII-Website den Antrag für die Sperrung von Sci-Hub gestellt. Der Verband ließ unsere E-Mail mit Rückfragen jedoch unbeantwortet. Der Börsenverein antwortete nicht inhaltlich und verwies uns zurück auf die CUII.

Wissenschaftliches Wissen für jeden Menschen

Gegründet wurde Sci-Hub im Jahr 2011 von Alexandra Elbakyan aus Kasachstan, um Wissen für alle frei zugänglich zu machen. Auf Sci-Hub heißt es hierzu auf Englisch: „Wissenschaftliches Wissen sollte für jeden Menschen zugänglich sein, unabhängig von Einkommen, sozialem Status, geografischer Lage.“

Im Interview mit netzpolitik.org sagte Elbakyan im Jahr 2021: Wissenschaft sei von Anfang an mit der Idee verbunden gewesen, etwas gemeinsam zu machen. „Daher steht der private Besitz von Wissenschaft durch Konzerne im Widerspruch zur Wissenschaft selbst.“

Sci-Hub ist ein Gegenentwurf, das Portal setzt allein auf freiwillige Spenden. „Viele Leute sagen, dass sie ohne Sci-Hub kaum in der Lage wären, Wissenschaft zu betreiben“, sagte Elbakyan weiter.

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Wikileaks: Biden denkt über Ende der Strafverfolgung von Assange nach

11. April 2024 - 11:19

Die Auslieferung von Julian Assange an die USA scheint möglicherweise doch noch abwendbar. Die Andeutungen des US-Präsidenten geben Anlass zur Hoffnung für den kranken und inhaftierten Wikileaks-Aktivisten.

Protest für die Freilassung von Julian Assange in London am 10. April. – Alle Rechte vorbehalten MAGO / Joao Daniel Pereira

Es ist ein Funken Hoffnung für den im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzenden Julian Assange: US-Präsident Joe Biden hat am Mittwoch gegenüber einem Reporter gesagt, dass die US-Regierung erwäge, auf eine weitere Strafverfolgung des Wikileaks-Aktivisten zu verzichten. Am Rande eines Besuches des japanischen Premierministers Fumio Kishida sagte Biden: „Wir ziehen es in Betracht.“ Die USA ermitteln gegen Assange wegen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten. Ihm droht dort eine 175-jährige Freiheitsstrafe nach dem US-Spionagegesetz (Espionage Act).

Bidens Aussage könnte darauf hindeuten, dass seine Regierung die Idee fallen lasse, Assange vor Gericht zu stellen, schreibt der Guardian, weil sich das im Wahljahr als politisch giftig erweisen könnte.

Australien fordert seit Jahren von den USA, die strafrechtliche Verfolgung des australischen Staatsbürgers Assange einzustellen. Laut einem Bericht der Zeit nannte der australische Premierminister Anthony Albanese Bidens Andeutungen „ermutigend“. Er sei der Überzeugung, dass die Inhaftierung Assanges nichts bringe. „Herr Assange hat bereits einen erheblichen Preis bezahlt – und genug ist genug“, so Albanese laut dem Medium. Assange ist praktisch seit 2012 nicht mehr auf freiem Fuß.

„Kein Ruhmesblatt für die britische und die US-Justiz“

Assange wehrt sich in Großbritannien gegen seine Auslieferung in die USA. Ende März hatte ein Londoner Gericht entschieden, dass die von den Vereinigten Staaten geforderte Auslieferung nur dann erfolgen könne, wenn die US-Regierung einige Zusicherungen für den Prozess abgibt.

Kommt die US-Regierung dem nach, könnte Assange in wenigen Wochen an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden, haben wir zuletzt berichtet. Die US-Zusicherungen müssen laut der Gerichtsentscheidung bis zum 16. April eingereicht werden. „Wenn keine Zusicherungen gegeben werden, werden wir die Berufung ohne weitere Anhörung zulassen“, schreibt das Gericht in seiner Entscheidung. Andernfalls soll eine Anhörung am 20. Mai stattfinden.

Der Australier Assange wurde nach dem Entzug des politischen Asyls im April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft in London verhaftet und sitzt seitdem in Auslieferungshaft im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh, isoliert in einer Einzelzelle. Davor hat er für sieben Jahre die ecuadorianische Botschaft nicht verlassen, aus Angst, verhaftet und in die USA überstellt zu werden. Sein Gesundheitszustand hat sich in dieser Zeit zunehmend verschlechtert.

Zahlreiche Initiativen, Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisationen setzen sich seit Jahren für die Freiheit von Julian Assange ein.

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Wohnungseinbruchdiebstahl: Justizministerium will Überwachungsbefugnisse verlängern

11. April 2024 - 10:22

Die Union will, dass Strafverfolgungsbehörden bei Einbrüchen in Wohnungen weiter Kommunikation auch mit Staatstrojanern überwachen können, sogar wenn es um Einzeltäter geht. Ihr Gesetzentwurf dazu wird heute wohl abgelehnt, doch das Justizministerium plant bereits eine eigene Verlängerung.

Wohnungseinbrüche sind mittlerweile seltener geworden. Aber ihre Aufklärung scheitert häufig immer noch. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Salah Ait Mohktar

Seit einer Gesetzesänderung 2019 durften Ermittlungsbehörden bei Wohnungseinbruchdiebstahl Telekommunikation überwachen. Es geht dabei sowohl darum, Telefone abzuhören, als auch mit Staatstrojanern verschlüsselte Messengerkommunikation abzufangen. Vorher war das nur beim Verdacht auf eine Einbrecherbande möglich, seit der Gesetzesänderung auch bei mutmaßlichen Einzeltäter:innen.

Doch die Befugniserweiterung war befristet angelegt, sie läuft Ende 2024 aus. Daher legte die Unionsfraktion im Bundestag einen Entwurf vor, um die Regelung unbefristet weiterzuführen. Heute Nachmittag wird darüber der Bundestag abstimmen. Der soll den Vorschlag nach einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ablehnen, doch vom Tisch ist eine Verlängerung dadurch nicht.

Das zeigt eine Anfrage von netzpolitik.org beim zuständigen Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin des BMJ teilt schriftlich mit:

Das Bundesjustizministerium beabsichtigt, die Ende 2019 vorübergehend eingeführte Erlaubnis zum Abhören bei der Aufklärung von Wohnungseinbrüchen um weitere fünf Jahre zu verlängern.

Das bedeutet: Auch wenn der heutige Entwurf abgelehnt wird, wie es bei Oppositionsanträgen üblich ist, dürfte das Thema im Lauf des Jahres wieder auf die Tagesordnung kommen.

Unübliche Befristung

Die befristete Erweiterung zur Überwachung aus dem Jahr 2019 verlief weitgehend ohne Aufregung, denn die damalige Große Koalition aus Union und SPD schrieb sie in das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens. Darin ging es um viele verschiedene Dinge: fachliche Anforderungen an Gerichtsdolmetscher etwa oder Verfahrensvereinfachungen bei missbräuchlichen Befangenheitsanträgen.

Dass es um einen erheblichen Grundrechtseingriff ging, war den damaligen Regierungsfraktionen jedoch bewusst – daher die Befristung. So schrieben sie in der Begründung zum Gesetz:

Die Ausweitung des Katalogs auf eine Tat, die von einem Einzeltäter begangen werden kann und die nicht notwendig in einem Zusammenhang mit Telekommunikation steht, ist unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht aus Artikel 10 GG [Fernmeldegeheimnis] sensibel.

Nach drei Jahres sollte geprüft werden, ob die Erweiterung notwendig und wirksam ist. Diese Evaluierung führte das BMJ durch und schickte sie im Februar 2024 an den Bundestag. Auch die Sprecherin des Ministeriums verwies auf unsere Anfrage hin auf das Dokument. Doch die Auswertung ist nur begrenzt aussagekräftig.

Auswertung begrenzt aussagekräftig

Das merkt das Ministerium selbst an. So schließt es etwa die Jahre 2020 und 2021 aus der Auswertung aus. Durch die Pandemie seien Menschen häufiger zu Hause gewesen, es gab generell weniger Einbruchsfälle. Im ausgewerteten Jahr 2022 wurde die Befugnis nur selten genutzt, sie sei „nur in 0,08 bis zu 3,07 Prozent der wegen des Verdachts eines Wohnungseinbruchsdiebstahls geführten Ermittlungsverfahren“ angeordnet worden.

Das zeige laut BMJ, dass „die grundrechtsintensive Maßnahme“ nicht massenweise eingesetzt werde: „Die geringen Fallzahlen ebenso wie die Ausführungen der beteiligten Verwaltungen zeigen, dass dieses Ermittlungsinstrument mit Augenmaß und nur in geeigneten Fällen von erheblichem Gewicht eingesetzt wird“, so das Fazit.

Laut Rückmeldung der Strafverfolgungsbehörden an das BMJ seien bei den durchgeführten Überwachungen „häufig verfahrensrelevante Ergebnisse“ herausgekommen. Als Beispiele sind genannt, dass Täter:innen etwa am Telefon über ihre Rollenverteilung beim Einbruch geredet hätten oder es möglich war, die Aufenthaltsorte der Verdächtigen zu ermitteln. Auch der Verkauf der Beute sei teils über Telefongespräche geregelt worden.

Bei einer Anhörung im Bundestag zum Entfristungsentwurf der Union kritisierten Sachverständige wie der Bundesdatenschutzbeauftragte, dass die Wirksamkeit derzeit noch nicht abgeschätzt werden könne und es eine weitere Evaluierung brauche, andere bezeichneten die Befugniserweiterung als Symbolpolitik.

Auch wenn die Fallzahlen beim Wohnungseinbruchdiebstahl im Vergleich zu den Pandemiejahren 2020 und 2021 wieder gestiegen sind, haben sie das Vor-Pandemie-Niveau nicht wieder erreicht. Im Jahr 2023 wurden demnach knapp 78.000 Wohnungseinbruchdiebstähle erfasst, das sind fast 10.000 weniger als 2019. Die Aufklärungsquote ist mit rund 15 Prozent jedoch weiterhin gering.

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Selbstbestimmungsgesetz: Keine Datenweitergabe an den gesamten Sicherheitsapparat

11. April 2024 - 9:10

Am Freitag soll der Bundestag über das Selbstbestimmungsgesetz entscheiden. Dass Änderungen von Namen und Geschlecht automatisch an bis zu zehn Behörden gemeldet werden sollen, ist gestrichen. Aber die Datenweitergabe könnte nur aufgeschoben sein und an anderer Stelle wieder auftauchen.

Protestschild beim Berliner CSD – Alle Rechte vorbehalten Imago / Eva-Maria Pollich

Bundeskriminalamt, Zoll und Geheimdienste sollen nicht automatisch informiert werden, wenn Personen ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern. Ein entsprechender Abschnitt aus dem Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz wurde gestrichen. So steht es im Änderungsantrag, der gestern im zuständigen Familienausschuss beschlossen wurde und über den am Freitag im Bundestag abgestimmt wird.

In dem Dokument heißt es zum entsprechenden Abschnitt:

Die Regelung zur automatisierten Datenweitergabe in § 13 Absatz 5 SBGG wird ersatzlos gestrichen. Dadurch sollen unterschiedliche Regelungen insbesondere im Vergleich zu sonstigen Namensänderungen vermieden werden.

Generalverdacht bei Änderung des Geschlechtseintrags

Die lange Liste der Behörden war auf Drängen des Bundesinnenministeriums (BMI) im Regierungsentwurf gelandet, als sich das zuständige Justiz- und Familienministerium schon auf einen Text geeinigt hatten. Die Sorge: Kriminelle könnten die neuen Regelungen missbrauchen, um mit einer neuen Identität abzutauchen.

Hätte sich das BMI in diesem Punkt durchgesetzt, hätte das bedeutet: Die persönlichen Daten von Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern, gehen automatisch an bis zu zehn verschiedene Bundesbehörden, darunter das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz und das Bundesamt für Migration.

Ein Generalverdacht, den vor allem die Grünen kritisiert haben. Doch während es in den Verhandlungen gelungen ist, diesen Punkt zu streichen, bleiben weitere kritische Paragrafen unverändert im Gesetz. So ist etwa der Verweis auf der Hausrecht weiterhin im Entwurf. Er betont, was rechtlich ohnehin schon klar ist: Das Hausrecht gilt auch für Einrichtungen wie Frauensaunen. Justizminister Marco Buschmann hatte diese Hinweise in den Entwurf schreiben lassen, nachdem vergangenes Jahr Diskussionen um vermeintliche Bedrohungsszenarien in der Frauensauna die Debatten geprägt haben.

Auch soll weiterhin Voraussetzung für die Änderung des Eintrags sein, dass dieser drei Monate im Voraus beim zuständigen Standesamt angemeldet werden muss. Verbände und Sachverständige kritisieren die Frist als unnötig und diskriminierend. Sie gilt nicht für andere Formen der Personenstandsänderung wie etwa Heirat. Außerdem gelten die Regeln weiterhin nicht für Menschen, die in Deutschland keinen Aufenthaltsstatus haben, etwa weil sie noch im Asylverfahren stecken oder geduldet sind.

Einige Punkte wurden zudem wieder verschärft. So ist nun doch eine psychologische Beratung vorgesehen, anders als noch im Kabinettsentwurf. Jugendliche ab dem Alter von 14 dürfen in Zukunft mit Zustimmung ihrer Eltern selbst ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern lassen. Für Kinder unter 14 müssen die Erziehungsberechtigten die Erklärung abgeben. In beiden Fällen müssen sich die Personen vorher beraten lassen, von einer Therapeutin etwa oder einem Träger der Jugendhilfe.

Unter Generalverdacht

Datenweitergabe soll ins Namensänderungsgesetz

Und auch die Datenweitergabe an Behörden, die nun aus dem Entwurf verschwunden ist, ist noch nicht vom Tisch. Sie könnte lediglich vertagt worden sein – und damit zugleich auf weitere Personenkreise ausgeweitet werden. Laut einem zweiten Entschließungsantrag des Ausschusses, der ebenfalls für die Abstimmung am Freitag vorgesehen ist, soll der Bundestag die Regierung auffordern, bis Ende des Jahres einen Entwurf für eine Reform des öffentlichen Namensrechts vorzulegen.

Es geht darin um Namensänderungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz, aber auch um andere Fälle, in denen ein „berechtigtes Interesse“ besteht, den Namen ändern zu lassen. Erwähnt werden etwa „Namensänderung wegen eines ausländischen oder fremdländisch klingenden Namens, durch den Nachteile im gesellschaftlichen, sozialen oder beruflichen Umfeld eintreten“ und „Namensänderung für die zweite und dritte Generation von Migranten“.

Für all diese Fälle soll eine Reform her, die „den staatlichen Ordnungsinteressen in Bezug auf Namensänderungen Rechnung trägt und die Meldeerfordernisse nach Änderung des Geschlechtseintrags stimmig mitregelt“.

Wie diesen Interessen des Staates genau Rechnung getragen wird, lässt der Antrag offen. Jedoch heißt es dazu in den Erläuterungen: „Die Identifikation einer Person muss für alle Sicherheitsbehörden und -dienste weiterhin problemlos möglich sein. Diesem berechtigten Interesse ist durch datenschutzkonforme effektive Sicherungsmaßnahmen Rechnung zu tragen.“ Diese „Ordnungsinteressen“ bestünden auch bei Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen nach dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz. „Sicherungsmaßnahmen dürfen aber nicht lediglich für diese Form der Namensänderung gelten, sondern müssen diskriminierungsfrei und stimmig ausgestaltet werden.“

Anmeldungen ab Anfang August

Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll regeln, wie non-binäre und trans Menschen in Zukunft ihren Geschlechtseintrag und Namen ändern können. Bislang mussten sie dazu zwei psychologische Gutachten vorlegen und die Änderung vor Gericht anerkennen lassen – ein teures Verfahren, das Betroffene als entwürdigend beschreiben – und das vom Verfassungsgericht mehrfach für verfassungswidrig erklärt wurde. In Zukunft soll gelten: Eine Erklärung auf dem Standesamt reicht.

Sollte der Bundestag dem Gesetz am Freitag zustimmen, gilt es als beschlossen. Eine Zustimmung des Bundesrats ist nicht erforderlich. Es soll dann ab dem 1. November in Kraft treten. Eine Anmeldung der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei den Standesämtern soll bereits ab dem 1. August möglich sein.

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Digitalzwang: In zweifacher Hinsicht abgehängt

10. April 2024 - 17:54

Drei Millionen Menschen sind hierzulande dauerhaft offline. Sie sind damit doppelt benachteiligt: Denn erstens sind „Offliner*innen“ meist auch im Analogen weniger privilegiert. Und zweitens gibt es mehr und mehr Service-Angebote nur noch im digitalen Raum. Doch auch für alle anderen bietet die Zwangsdigitalisierung nicht nur Vorteile.

Drei Millionen Menschen sind hierzulande dauerhaft offline, – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Design Pics

All jene, denen das Smartphone schon mal ins Klo gefallen ist, kennen vermutlich das Gefühl, von der digitalen Welt abgeschnitten zu sein. 49-Euro-Ticket: weg. TAN-App fürs Online-Banking: weg. Zweiter Faktor, um sich sicher in die Social-Media-Accounts einzuloggen: weg.

Dauerhaft offline sind hierzulande drei Millionen Menschen, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag für das Jahr 2023 mitteilte. Sie sind damit gleich in doppelter Hinsicht abgehängt: Denn offline sind vor allem Menschen, die weniger privilegiert sind. Und zugleich gibt es mehr und mehr Service-Angebote nur noch im digitalen Raum.

Mehr als 5 Prozent sind dauerhaft offline

Drei Millionen „Offliner*innen“ sind etwas mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 16 und 74 Jahren. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich etwas unter dem Durchschnitt von sechs Prozent. Immerhin haben sich die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um je einen Prozentpunkt verbessert: Für 2022 meldete das Bundesamt sechs Prozent Offliner*innen in Deutschland und sieben Prozent im europäischen Durchschnitt.

Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik in Haushalten und durch Einzelpersonen - Alle Rechte vorbehalten Eurostat

Grundsätzlich gibt es verschiedene Gründe, warum Menschen nicht online sind. Manchen mangelt es an Geld für die dafür erforderlichen Geräte und/oder den Zugang. Oder es fehlt an Barrierefreiheit. Manche ziehen die „klassischen“ Medien vor und vermissen darüber hinaus nichts. Und manche würden zwar gerne online gehen, trauen sich den Umgang mit dem Internet aber nicht zu. Nicht zuletzt gibt es auch die – oftmals berechtigte – Skepsis, dass die eigenen Daten digital wirklich sicher sind.

Laut Statistischem Bundesamt variiert der Anteil der Offliner*innen je nach Altersgruppe, Geschlecht, Bildungsgrad und Einkommen. So waren in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen rund 15 Prozent noch nie online. Für die noch Älteren erfasst Eurostat keine Daten. Die Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) stellt allerdings fest, dass im Jahr 2022 nur 37 Prozent der Menschen ab 80 Jahren das Internet nutzten. Und unter ihnen waren deutlich mehr Männer (52 Prozent) als Frauen (29 Prozent).

Noch deutlicher sind laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Unterschiede in der Altersgruppe der „Hochaltrigen“ beim Einkommen:

Während die Mehrheit der hochgebildeten (59 Prozent) und einkommensstarken (67 Prozent) Hochaltrigen online ist, sind es bei den Niedriggebildeten (16 Prozent) und Einkommensschwachen (22 Prozent) signifikant weniger.

Ältere Menschen stehen der Internetnutzung – anders als einige meinen – mehrheitlich aber nicht skeptisch oder ablehnend gegenüber. Das sagt zwar ein Drittel der Befragten, ebenso viele stehen der Nutzung moderner Technik jedoch aufgeschlossen gegenüber.

Ähnliche demographische Unterschiede gibt es auch bei den jüngeren Altersgruppen. So stellte der D21-Digitalindex 2021/22 fest, dass 70 Prozent der befragten Offliner*innen Frauen waren, 76 Prozent niedrige und 13 Prozent mittlere Bildung hatten sowie mehr als die Hälfte über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 2.000 Euro verfügte. Und der Paritätische Gesamtverband wies in einer Kurzexpertise im vergangenen Jahr darauf hin, dass ein Fünftel der armutsbetroffenen Menschen keinen eigenen Internetanschluss hat.

Laut eGovernment MONITOR 2023 sind 80 Prozent der Menschen mit hoher Bildung in der Lage, das Online-Angebot von Behörden und Ämtern zu nutzen, aber nur gut zwei Drittel mit mittlerer und nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen mit niedriger Bildung sind dazu in der Lage.

eGovernment-Kompetenz nach Bildung - CC-BY 2.0 Initiative D21 Nicht-digitale Optionen werden rar

Es ist aber nicht allein der Mangel an Bildung oder Geld, der von der Nutzung digitaler Angebote ausschließt. Der Paritätische Gesamtverband kam in der oben erwähnten Studie aus dem Jahr 2023 zu dem Ergebnis, dass digitale Teilhabe auch damit zu tun hat, ob Menschen im Alltag die Gelegenheit zu digitaler Praxis haben.

Während viele Erwerbstätige Gelegenheit haben, über ihren Beruf digitale Kompetenzen auf- und auszubauen, spielen digitale Arbeitsmittel bei von Armut betroffenen Erwerbstätigen kaum eine Rolle. Zwei Drittel der Armutsbetroffenen gaben an, beruflich nie Laptop, Smartphone oder Tablet zu nutzen, über die Hälfte hat auch sonst beruflich nie mit digitalen Anwendungen oder Programmen zu tun.

Wenn es also immer mehr Angebote und Dienstleistungen des täglichen Lebens nur noch digital gibt, dann schließt das Menschen aus – und zwar vor allem jene, die ohnehin weniger privilegiert sind. Noch gibt es für fast alles eine nicht-digitale Option, aber die Richtung ist klar: Die Bank- und Postfilialen verschwinden nach und nach. Dauerfahrkarten und die Bahncard soll es künftig nur noch digital geben. Und immer mehr Service-Angebote setzen auf Chat-Bots statt auf Telefon-Hotlines.

Auch die Bundesregierung schickte im vergangenen Jahr einige rein digitale Testballons los: Für Studierende gab es eine 200-Euro-Einmalzahlung – aber nur für jene, die über ein BundID-Konto verfügten. 18-Jährige erhielten mit dem Kulturpass ebenfalls 200 Euro – but digital only. (Den gibt’s übrigens auch in diesem Jahr. Aber wer zu spät geboren ist, den*die bestraft das Leben. Denn dieses Jahr gibt’s nur die Hälfte.) Und Bundesverkehrsminister Volker Wissing wurde vor einem Jahr nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass das 49-Euro-Ticket nur digital zu haben sei.

Die Bahn verkündete kürzlich, dass es auch die Bahncard fortan nur noch digital gibt. Im Kleingedruckten findet sich immerhin der Hinweis, dass es für alle ohne Smartphone auch ein Ersatzdokument gibt – nur: Auch dafür ist ein Online-Kundenkonto nötig. Ebenso gibt es für viele Studierende das Semesterticket nur noch digital. Wer lieber eine physische Karte haben möchte, muss das beispielsweise in Rostock per Antrag schriftlich begründen.

Akku alle? Selber schuld!

Dabei bietet der Digitalzwang keineswegs nur Vorteile, wie auch eine – völlig unwissenschaftliche – anekdotische Umfrage in verschiedenen sozialen Netzwerken ergab.

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Von knapp 80 Reaktionen fand sich etwa ein Viertel schon mal in der Situation wieder, dass sich ihr Smartphone vor einer Ticketkontrolle komplett entladen hatte. 15 weitere beschrieben Schwierigkeiten mit der DB-App: Die zeigte das gültige Ticket nicht an oder loggte Nutzer*innen aus unerfindlichen Gründen aus, und nicht alle hatten ihr Passwort parat. Auch Funklöcher verhindern zuweilen, dass die Bahn-App die Tickets herunterlud – insbesondere im Regionalverkehr, wo es auch nicht immer Steckdosen gibt. Ähnliches wurde über ÖPNV- und Semestertickets berichtet.

Bislang tolerieren die Schaffner*innen derlei Probleme mit Smartphones und digitalen Tickets offenbar noch meist. Allerdings sollte sich niemand auf deren Kulanz verlassen. Denn offiziell sehen etwa die Bestimmungen der Deutschen Bahn vor, dass bei technischen Störungen nachgezahlt werden muss.

Auch mutmaßten einige der Befragten, die schon mal ohne gültigen Digital-Fahrschein erwischt worden waren, dass die Schaffner*innen sie vielleicht anders behandelt hätten, wenn sie nicht weiß gewesen wären. Fast alle beschrieben, dass sie (mittlerweile) vorsichtshalber Tickets zusätzlich ausdrucken – was den Sinn der Digitalisierung der Fahrkarten in Frage stellt.

In Zukunft wird es wahrscheinlich viel mehr Angebote und Dienstleistungen geben, die ausschließlich digital verfügbar oder deren nicht-digitale Alternativen schwer zu finden sind. Das wird die digitale Kluft weiter vertiefen, die schon jetzt viele von den digitalen Annehmlichkeiten oder auch Notwendigkeiten ausschließt. Die Bundesregierung täte gut daran, die Entschließung zur Digitalen Kluft vom Dezember 2022 zu berücksichtigen, in der das Europäische Parlament betont:

dass viele tägliche Dienste eine nicht digitale Lösung bieten sollten, um den Bedürfnissen derjenigen Bürger gerecht zu werden, die nicht über die für die Nutzung von Online-Diensten erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die Dienste offline nutzen möchten oder die keinen Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen haben.

Apropos Bedürfnisse. Wer diesen Text jetzt zufällig auf der Toilette liest, sollte – falls noch nicht geschehen – ein Backup des eigenen Smartphones erwägen. mobilsicher.de hat dazu gute Tipps.

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Einigung zu Quick Freeze: Vorratsdatenspeicherung ist jetzt „Leiche im Keller“

10. April 2024 - 14:46

Offenbar an Innenministerin Nancy Faeser vorbei hat sich die Ampel auf die Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt, das als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gilt. Doch auch dieses Verfahren bietet Schlupflöcher für größere Überwachungen – zudem bleibt eine Leiche als möglicher Zombie im Keller.

Haben offenbar bei der Einigung nicht geredet: Justizminister Buschmann und Innenministerin Faeser. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Gestern sah es noch ganz anders aus, zumindest für die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser: Mit deutlichen Worten forderte sie bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik wieder einmal die Vorratsdatenspeicherung. Nur einen Tag später scheint diese Form der anlasslosen Überwachung jedoch vorerst vom Tisch. Das Kabinett hat sich auf das alternative Quick-Freeze-Verfahren geeinigt – offenbar an der Innenministerin vorbei. Über die Einigung hatte zuerst LTO berichtet.

Ausgangspunkt der künftigen Regelung soll der Referentenentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) von Oktober 2022 sein, den wir im Volltext veröffentlicht haben. Ganz soll die Vorratsdatenspeicherung dem Vernehmen nach allerdings nicht verschwinden: Wie mehrere Quellen aus der Ampel gegenüber netzpolitik.org bestätigen, sollen die bislang im Telekommunikationsgesetz (TKG) verankerten Regeln weiterhin bestehen, aber wie bisher ausgesetzt bleiben. Das Versprechen, die rechtlich wacklige Vorratsdatenspeicherung endgültig aus der Welt zu schaffen, stammt aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien.

Langer Streit in der Ampel

Dennoch konnten sich die Regierungspartner lange Zeit nicht einigen. Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzte sich bis zum gestrigen Tag dafür ein, eine möglichst weitgehende Regelung vorzulegen, die einschlägigen Urteilen des Europäisches Gerichtshofs (EuGH) gerecht wird. Sie forderte etwa die Speicherung von IP-Adressen.

Offenkundig konnte sich die sozialdemokratische Innenpolitikerin bei ihren Koalitionspartnern damit nicht durchsetzen. Dem Vernehmen nach sei Faeser nicht an den jüngsten Verhandlungen beteiligt gewesen. Diese seien „auf höchster Ebene“, also zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Marco Buschmann (FDP) geführt und abgeschlossen worden, heißt es aus Regierungskreisen.

Offenbar um das Gesicht zu wahren, bleiben zum einen die bisherigen Speicherpflichten erhalten, wenn auch nur auf dem Papier. Zudem wird in einer Art Kuhhandel die Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten bis ins Jahr 2029 verlängert, die Ende 2025 auszulaufen drohte. Auch dies war eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart, aber Streitpunkt in der Koalition gewesen.

„Leiche bleibt im Keller“

Thorsten Lieb, stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses und Berichterstatter für die Vorratsdatenspeicherung und das Mietrecht der FDP-Bundestagsfraktion erklärt gegenüber netzpolitik.org, dass mit dem Verfahren nun die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes rechtssicher umgesetzt würden. „Damit ist endlich Schluss mit einer Politik, die jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin unter Generalverdacht stellt“, so Lieb weiter.

Auch der grüne Koalitionspartner zeigt sich zufrieden. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei, erinnerte daran, dass die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung entgegen wiederholter Gerichtsentscheidungen an diesem Instrument festgehalten hätten. Mit der „Einführung eines Quick-Freeze-Verfahrens wird eine zentrale Forderung auch bündnisgrüner Bürgerrechtspolitik endlich umgesetzt“, so von Notz. Er kritisierte aber, dass die Vorratsdatenspeicherung weiterhin im Gesetz stehen bleibe. „Diese Leiche einer völlig überholten, Grundrechte negierenden Sicherheitspolitik bleibt also im Keller“, so von Notz in einer Presseerklärung. Aus SPD-Kreisen erhielten wir kurzfristig keine Antwort.

Die Digitalorganisation D64 sagt, dass die Vorratsdatenspeicherung „vorerst Geschichte“ sei. „Das ist ein Erfolg für die Zivilgesellschaft und progressive Digitalpolitiker:innen“, so Erik Tuchtfeld von D64.

Was ist Quick Freeze?

Quick Freeze gilt als die grundrechtsschonendere Alternative zur Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und anderen Daten wie Standortinformationen. Während bei der Vorratsdatenspeicherung ohne einen Anlass und verdachtsunabhängig solche Daten für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden, beginnt die Speicherung (das Einfrieren) bei Quick-Freeze üblicherweise erst nach einem Verdacht und nach einem richterlichen Beschluss. Gesichert werden die bei den Providern verfügbaren Daten, die sie beispielsweise für Verrechnungszwecke kurzfristig aufheben oder die nach der Anordnung anfallen.

Die Maßnahme muss sich laut dem bisherigen Gesetzentwurf nicht gegen eine Person richten, sondern kann auch einen Ort betreffen. Bei den einzufrierenden Daten handelt es sich um Informationen wie IP-Adressen, Standortdaten und Metadaten zu Kommunikationsverbindungen, also etwa wer zu welchem Zeitpunkt mit wem telefoniert hat und wo die Person dabei war.

Quick Freeze gilt zwar als grundrechtsschonender als die VDS, bietet aber auch Schlupflöcher für umfangreiche Überwachungen. Denn eine Überwachungsmaßnahme kann sich sehr spezifisch gegen einen Anschluss richten, könnte aber auch ganze Stadtgebiete oder Orte betreffen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte damals zudem kritisiert, dass bei Quick Freeze Mandatskontakte in die Hände der Strafverfolger gelangen könnten.

Im Gesetzentwurf des Justizministeriums aus dem Jahr 2022 war bei Quick Freeze eine doppelte Sicherung nötig: Sowohl das Einfrieren der Daten wie auch das spätere „Auftauen“ sollten jeweils eine eigene Erlaubnis von Richter:innen benötigen, den sogenannten Richtervorbehalt. Wie der aktuelle Entwurf das regeln wird, ist noch nicht bekannt, dem Vernehmen nach soll er sich jedoch am Referentenentwurf orientieren. Aus Koalitionskreisen verlautete, dass ein konkreter Entwurf „zeitnah ins Kabinett“ kommen solle. Danach steht die Behandlung im Bundestag an.

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Panopticon für Geflüchtete: Griechenland soll Strafe für Überwachung in Grenzcamps zahlen

10. April 2024 - 13:27

Wie weit darf die EU bei der Überwachung von Asylsuchenden an ihren Grenzen gehen? Griechenland testet das in neuen Lagern auf den Ägäischen Inseln. Nun hat die griechische Datenschutzbehörde dafür eine Strafe verhängt. Bürgerrechtler:innen hoffen auf eine Entscheidung mit Signalwirkung.

Das „Closed Controlled Access Center“ auf Samos: finanziert von der EU. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Nik Oiko

Doppelter „Nato-Sicherheitszaun“ mit Stacheldraht. Kameras, die selbst den Basketballplatz und die Gemeinschaftsräume rund um die Uhr im Blick haben. Drohnen sorgen für Überwachung aus der Luft. Das Lager auf Samos, das die griechische Regierung 2021 mit viel Getöse eröffnet hat, gleicht eher einem Gefängnis als einer Erstaufnahme für Asylsuchende, die gerade in Europa gelandet sind.

Das Überwachungssystem, das in diesem und vier weiteren Lagern auf den griechischen Inseln für „Sicherheit“ sorgen soll, heißt Centaurus. Die Bilder aus den Sicherheitskameras und Drohnen laufen in einem Kontrollzentrum im Ministerium in Athen zusammen. Bei besonderen Situationen sollen auch Polizeibehörden oder die Feuerwehr direkten Zugang zu den Aufnahmen bekommen. Mit dem System Hyperion wird der Zugang zum Lager kontrolliert: biometrischen Eingangstore, die sich nur mit Fingerabdrücken öffnen lassen.

Für den Einsatz dieser Technologien ohne vorherige Grundrechtsprüfung hat das Ministerium nun eine Strafe kassiert. Die griechische Datenschutzaufsicht sieht einen Verstoß gegen Datenschutzgesetze in der EU (DSGVO). In einem lang erwarteten Beschluss belegte sie vergangene Woche das Ministerium für Migration und Asyl mit einem Bußgeld von 175.000 Euro.

Erst eingesetzt, dann Folgen abgeschätzt

Zwei konkrete Punkte führten laut Datenschutzbehörde zu der Entscheidung: Das Ministerium hat es versäumt, rechtzeitig eine Datenschutz-Folgenabschätzung zu erstellen. Gemeint ist damit eine Bewertung, welche Auswirkungen der Einsatz der Überwachung auf die Grundrechte der betroffenen Personen hat. Es geht um die Asylsuchenden, die in den Lagern festgehalten werden, aber auch Angestellte, Mitarbeitende von NGOs oder Gäste, die das Lager betreten.

Eine solche Abschätzung hätte bereits vor der Anschaffung und dem Einsatz der Technologien vollständig vorliegen müssen, schreibt die Aufsichtsbehörde in ihrer Entscheidung. Stattdessen ist sie bis heute unvollständig: Ein Verstoß gegen die Artikel 25 und 35 der Datenschutzgrundverordnung, für die die Behörde eine Geldbuße in Höhe von 100.000 Euro verhängt.

Zusätzlich wirft die Behörde dem Ministerium Intransparenz vor. Dokumente hätten beispielsweise verwirrende und widersprüchliche Angaben enthalten. Verträge mit den Unternehmen, die die Überwachungssysteme betreiben, hätte das Ministerium mit Verweis auf Geheimhaltung gar nicht herausgegeben, und damit auch keine Details zu den Bedingungen, zu denen die Daten verarbeitet werden. Wie diese Systeme mit anderen Datenbanken etwa zur Strafverfolgung verknüpft sind, ob also Aufnahmen und biometrische Daten auch bei der Polizei landen könnten, das wollte das Ministerium ebenfalls nicht mitteilen. Dafür verhängte die Aufsichtsbehörde weitere 75.000 Euro Strafe.

Ministerium: Systeme noch in der Testphase

Das Ministerium rechtfertigt sich: Centaurus und Hyperion seien noch nicht vollständig in Betrieb, man befinde sich noch in der Testphase. Die Aufsichtsbehörde habe nicht bedacht, dass „die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht bewertet werden konnte, bevor die Systeme in Betrieb genommen wurden“. Hinzu kämen Pflichten zur Geheimhaltung, die sich aus den Verträgen mit den Unternehmen hinter den beiden Systemen ergeben.

Die Behörde hat das nicht durchgehen lassen: Rein rechtlich mache es keinen Unterschied, ob ein System noch getestet wird oder im Regelbetrieb sei, schriebt sie in ihrer Entscheidung. Die Abschätzung hätte weit vorher, nämlich bereits bei Abschluss der Verträge, vorliegen müssen. Noch dazu würden diese Verstöße eine große Zahl an Menschen betreffen, die sich in einer besonders schutzlosen Lage befänden.

Abschalten muss das Ministerium die Überwachungssysteme allerdings nicht, sie bleiben in Betrieb. Es muss lediglich binnen drei Monaten den Forderungen nachkommen und fehlende Unterlagen liefern. Das Ministerium kündigt an, die Entscheidung rechtlich überprüfen und möglicherweise anfechten zu wollen.

Geheimhaltungspflicht keine Ausrede

„Die Entscheidung ist sehr wichtig, weil sie einen sehr hohen Standard dafür setzt, wann und wie eine Datenschutz-Folgenabschätzung erfolgreich durchgeführt werden muss, sogar vor der Auftragsvergabe“, sagt Eleftherios Helioudakis. Er ist Anwalt bei der griechischen Organisation Homo Digitalis und beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Technologien auf Menschenrechte. Eine Beschwerde von Homo Digitalis und weiteren Vereinen aus dem Jahr 2022 hatte die Untersuchung angestoßen.

Helioudakis sagt, die Entscheidung mache deutlich, dass mangelnde Kommunikation mit der Datenschutzbehörde zu hohen Geldstrafen führen kann. Außerdem sei nun klar: Das Ministerium kann Vertragsklauseln zum Datenschutz nicht aus Gründen der Geheimhaltung vor der Datenschutzbehörde verbergen, denn für deren Untersuchungen ist die Geheimhaltungspflicht aufgehoben – wie es die DSGVO vorsieht. Das Urteil der Behörde beziehe sich zudem erst mal nur auf die Mängel bei der Einführung der Systeme, so der Bürgerrechtler. Es könnten also neue Fälle bei der Datenschutzbehörde anhängig gemacht werden.

Die Sanktionen sind laut der Hilfsorganisation Hias die höchsten, die die Datenschutzbehörde je gegen den griechischen Staat verhängt hat. In der Summe fallen die Strafzahlungen allerdings gering aus. Sind die Datenschutzregeln der EU wirklich das geeignete Instrument, um die Rechte von Asylsuchenden zu schützen? Eleftherios Helioudakis sagt ja. „Die gesetzlichen Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung sind Instrumente, mit denen wir die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten praktisch durchsetzen können.“ Es gebe keine richtigen und falschen Ansätze. „Wir können die uns zur Verfügung stehenden juristischen Instrumente nutzen, um unsere Strategie zu bündeln und uns gegen übergriffige Praktiken zu wehren.“

Die Lager auf den Ägäischen Inseln werden vollständig von der EU finanziert und gelten als „Modell“. Nach ihrem Vorbild plant die EU in den kommenden Jahren weitere Lager an ihren Außengrenzen zu errichten. Die Entscheidung der griechischen Datenschutzaufsicht wird von der Kommission vermutlich mit Interesse verfolgt. Sie macht deutlich, unter welchen Voraussetzungen Überwachungstechnologien in diesen Camps eingesetzt werden können.

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Deepfakes: Influencer:innen montieren fremde Gesichter auf echte Frauenkörper

10. April 2024 - 11:15

Angeblich virtuelle Influencer:innen wollen Menschen mit sexy Videos auf Bezahlseiten locken. Virtuell ist aber offenbar nur das Gesicht, wie die Recherche eines US-Mediums zeigt – die Grundlage sind reale Aufnahmen von Models, die einem solchen Gesichtertausch nicht zugestimmt haben.

Was echt ist, wird immer schwieriger zu erkennen. – Screenshot Sophie Skye / Twitter

Auf Instagram, Twitter und TikTok verbreitet sich gerade ein neues Geschäftsmodell für Influencer:innen, das auf Deepfake-Technologie basiert. Darüber hat zuerst das US-Medium 404 Media berichtet. Dabei nutzen Menschen bereits veröffentlichtes Videomaterial von Models oder Sexarbeiter:innen und tauschen lediglich das Gesicht aus. Mit sogenannter Künstlicher Intelligenz entstehen dabei täuschend echte Aufnahmen, sogenannte Deepfakes.

Vermehrt erreichen diese selbst ernannten virtuellen Influencer:innen teils Hunderttausende Follower:innen. Viele locken Nutzer:innen mit ihren manipulierten Bildern und Videos auf den öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken zu zahlungspflichtigen Erotik-Inhalten bei Seiten wie OnlyFans oder Fanvue. Zumindest manche Menschen hinter diesen Accounts geben an, dass sie vom Computer generierte Bilder und Videos nutzen.

Laut 404Media wird diese Methode in Ratgebern für virtuelle Influencer empfohlen, um die Figuren glaubwürdiger zu machen. Derzeit ist noch keine Technik für die breite Öffentlichkeit verfügbar, die komplette, realistische Videos mit Personen generieren kann. Bislang haben das Unternehmen wie Open AI bloß angekündigt. Bei der von 404 Media gefundenen Fake-Methode sind deshalb immer noch Originalvideos notwendig, um den Inhalt zu erstellen.

Die schöne neue Welt der virtuellen Influencer

Als Reaktion auf die Recherche von 404Media hat Instagram manche der recherchierten Accounts gelöscht, auf anderen Plattformen blieben sie online.

Meta plant, das ab Mai mit Künstlicher Intelligenz generierte Inhalte gekennzeichnet werden sollen, wenn Meta das selbst erkennt oder Nutzer:innen das selbst offenlegen. Mit der europäischen KI-Verordnung kommen zudem Kennzeichnungspflichten bei Deepfakes auch per Gesetz. Diese werden allerdings unseriöse Akteur:innen nicht davon abhalten, Deepfakes zu verschleiern. Es ist fraglich, ob Wasserzeichen und andere technische Lösungen überhaupt in der Lage sind, das Problem zu bekämpfen oder ob nicht vielmehr Bildung und neuer gesellschaftlicher Umgang hier weiterhelfen.

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Europäischer Datenschutzbeauftragter: Migration, KI und Chatkontrolle dominierten das letzte Jahr

10. April 2024 - 9:52

Wojciech Wiewiórowski kontrolliert, dass die Institutionen der EU sich an den Datenschutz halten. Er hat nun seinen Jahresbericht für 2023 veröffentlicht, der klare Schwerpunkte zeigt.

Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat viele Themen zu bearbeiten. – Alle Rechte vorbehalten EDPS

Darf das EU-Parlament die Fingerabdrücke seiner Abgeordneten nutzen, um festzustellen, ob sie bei einer Sitzung anwesend sind? Wie kann die EU-Kommission die Office-Programme von Microsoft nutzen, obwohl dabei Daten in andere Länder übertragen werden? Für solche Fragen ist Wojciech Wiewiórowski zuständig. Er ist seit 2019 der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDPS) und kontrolliert, ob sich die europäischen Institutionen und Behörden an ihre Datenschutzregeln halten.

Gestern hat Wiewiórowski im Innenausschuss des europäischen Parlaments seinen Jahresbericht für 2023 (PDF) vorgestellt. Dabei standen einige Themen im Vordergrund, die auch im laufenden Jahr noch aktuell geblieben sind: das Datensammeln an den EU-Außengrenzen, das neue Pflichtfach Künstliche Intelligenz und das Chatkontrolle-Vorhaben der Kommission.

Dauerclinch mit Frontex

Wie schon in den Jahren davor sind 2023 Menschen auf dem Weg in die EU im Mittelmeer ertrunken. Über die, die es an die Außengrenzen geschafft haben, sammelt die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, kurz Frontex, Daten. Seit Jahren gibt es Beschwerden darüber, wie Frontex das tut und was danach mit den Daten passiert. Im Oktober 2022 schaute der EDPS deshalb im Hauptquartier von Frontex in Warschau vorbei.

Das Ergebnis dieses Besuchs: eine Liste mit 36 Kritikpunkten. Besonders ging es dabei um die Frontex-Praxis, mit manchen Migrant:innen sogenannte „Debriefing“-Interviews durchzuführen und die Ergebnisse dieser Interviews mit anderen Behörden zu teilen. Der EDPS habe „ernste Zweifel“ daran, ob diese Interviews in ihrer aktuellen Form den geltenden Datenschutzregeln entsprechen, hieß es im Bericht zur Untersuchung.

Frontex reagierte und änderte seine Regeln zum Umgang mit Daten. Aber diese Änderungen gingen Wiewiórowski nicht weit genug, wie Euractiv berichtete: In einem Brief an Frontex kritisierte der Datenschutzbeauftragte unklare Formulierungen, „besonders dazu, welche Daten für welchen Zweck und unter welchen Rahmenbedingungen gesammelt und verarbeitet werden können.“

Die „Privatsphäre der Verwundbarsten“

Der EDPS eröffnete auf Basis seines Berichts und seiner Empfehlungen eine Voruntersuchung. Außerdem besuchte der Datenschutzbeauftragte Frontex im Sommer erneut – aber diesmal nicht im Büro, sondern vor Ort auf der griechischen Insel Lesvos. Diesmal ging es auch um das Sammeln der Fingerabdrücke von Migrant:innen.

„Wir glauben fest daran, dass die Privatsphäre der Verwundbarsten ein höheres Risiko hat, grundlegend getroffen zu werden“, sagte Wiewiórowski gestern im Innenausschuss. „Als Aufsichtsbehörde sind wir bis an die Grenzen gegangen – buchstäblich“, so der Datenschutzbeauftragte zur Untersuchung auf Lesvos.

Um Fingerabdrücke wird es heute auch im EU-Parlament gehen, das stimmt nämlich zu einem neuen „Migrationspakt“ ab. Der soll auch die Eurodac-Datenbank reformieren, die Millionen an Fingerabdrücken etwa von Asylsuchenden enthält. In Zukunft soll sie auch biometrische Fotos erfassen. Bürgerrechtsorganisationen wie EDRi kritisierten die geplante Reform.

Neue Gesetze sollen Daten schützen

Der EDPS überprüft nicht nur, ob sich europäische Institutionen an geltende Datenschutzregeln halten: Er mischt sich auch ein, wenn die EU an neuen Gesetzen arbeitet, die den Datenschutz berühren. Im vergangenen Jahr hat er das besonders zu zwei Themen getan, nämlich zu Künstlicher Intelligenz und zur Chatkontrolle.

Im Oktober hat der Datenschutzbeauftragte auf eigene Initiative einen Bericht zur KI-Verordnung vorgelegt. Darin forderte er besonders, dass das Gesetz KI-Systeme komplett verbieten sollte, die inakzeptable Risiken für Grundrechte darstellen. Damit waren etwa Systeme gemeint, die versuchen, automatisch Emotionen zu erkennen, ebenso wie die biometrische Überwachung. Leider konnte sich Wiewiórowski mit diesen Forderungen nicht durchsetzen: Die fertige KI-Verordnung sieht große Ausnahmen für solche Verbote vor.

Besser sieht es bei der Chatkontrolle aus. Hier konnten die Gegner:innen von zusätzlicher Überwachung zumindest bis jetzt verhindern, dass die EU gegen die Verschlüsselung privater Nachrichten vorgeht. Auch der Datenschutzbeauftragte hatte sich klar gegen das Vorhaben gestellt. Im November lud er Expert:innen ins EU-Parlament ein, die das geplante Gesetz scharf kritisierten, im Januar warnte er vor einer Verlängerung der aktuell geltenden freiwilligen Regeln. Die dauerhafte Chatkontrolle stockt momentan im EU-Rat, weil genug Mitgliedstaaten dagegen sind.

Eine weitere Warnung hat Wiewiórowski in Sachen Finanzierung. Es sei ja gut, dass der AI Act jetzt KI reguliere und dabei auch seiner Behörde viel Verantwortung gebe. Wenn aber die EU-Institutionen nun selbst KI-Tools für alle möglichen Anwendungen entwickeln, dann müsse der EDPS dass auch kontrollieren können, sagte er gestern. „Damit das passieren kann, muss der EDPS mit Ressourcen ausgestattet werden, die wir momentan noch nicht bekommen. Das stellt unsere Fähigkeit in Frage, die Funktionen auszuüben, die uns auferlegt worden sind.“

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Kriminalstatistik: Wenn der Polizeichef die Innenminister bremst

9. April 2024 - 16:55

Mehr Kriminalität von Menschen ohne deutschen Pass weist die Polizeiliche Kriminalstatistik aus. Doch während die Innenminister:innen bei der Vorstellung des Berichts erwartbare Hardliner-Floskeln klopfen, überrascht der Chef des Bundeskriminalamts mit Einordnungen und Kontext. Ein Kommentar.

Holger Münch, Nancy Faeser und Michael Stübgen. (von links nach rechts) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Metodi Popow

Deutschland ist eines der sichersten Länder der Erde. Daran ändert auch die neue Kriminalstatistik (PDF) nichts. Laut dieser stieg die Kriminalität im Jahr 2023 um etwa 5,5 Prozent auf etwa 5,9 Millionen erfasste Straftaten – ein Wert, den das Land im Jahr 2012 schon hatte. Ohne ausländerrechtliche Verstöße ist die Kriminalität übrigens nur um 4,4 Prozent gestiegen. Aber das sind alles Nebenaspekte einer Debatte, die seit dem Wochenende schon hochgekocht wird.

Gestiegen ist im letzten Jahr nämlich die Zahl der Straftaten, derer Menschen ohne deutschen Pass verdächtigt werden – und zwar um satte 13,5 Prozent. Da jubilieren heimlich mahnen AfD und CDU und andere, die schon immer gerne das Bild vom kriminellen Ausländer zeichnen wollen. Auch Nancy Faeser mit sozialdemokratischem Parteibuch wird bei der Vorstellung der neuen Kriminalstatistik in der Bundespressekonferenz nicht müde zu betonen, dass man jetzt doch besser abschieben könne und dass alle gehen müssten, die sich nicht an die Regeln halten. Ein hartes Durchgreifen des Rechtstaates sei nun angesagt. Ich streiche ein Kästchen auf meiner persönlichen Bullshit-Bingo-Karte ab.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen von der CDU, fordert eine „offene und vorurteilsfreie Debatte“ über Ausländerkriminalität – wobei nicht ganz klar wird, ob er jetzt richtig vom Leder ziehen dürfen will oder keine Vorurteile gegen Ausländer fordert. Jedenfalls sei Deutschland am „Integrationslimit“ und man müsse eine „Migrationsobergrenze“ offen diskutieren. Besser kann man die Zahlen der Statistik nicht instrumentalisieren und die Agenda der AfD bedienen.

Man könnte soviel andere Bemerkungen zu diesen Zahlen haben: Zum Beispiel, dass Ausländer häufiger in den Fokus einer Polizei mit Rassimusproblem geraten und dass die Kriminalstatistik als eine Art Tätigkeitsbericht der Polizei eben auch abbildet, wenn sich die Polizei auf bestimmte Gruppen oder Kriminalitätsfelder stärker konzentriert. Oder dass in den Sammelunterkünften von Geflüchteten die soziale und behördliche Kontrolle viel stärker ist und Polizei von Betreuern eben schnell gerufen wird.

Plötzlich die Stimme der Vernunft

Ganz soweit geht Holger Münch dann nicht. Aber dass es an diesem Tag mit dem Chef des Bundeskriminalamtes ausgerechnet ein Vertreter der Polizei ist, der auf der verbale Bremse tritt, fällt auf. Münch ist zwischen den sich als Hardliner gerierenden Innenminister:innen plötzlich die Stimme der Vernunft, die auf soziale und wirtschaftliche Gründe für Kriminalität aufmerksam macht und der die hohe Inflation des letzten Jahres in Korrelation mit der steigenden Kriminalität sieht.

Er weist darauf hin, dass Integration wichtig ist und dass Regionen mit hohem Ausländeranteil wirtschaftlich stärker sind. Er macht auf den Umstand aufmerksam, dass die Steigerung auch damit zusammenhängt, dass die Gesamtzahl von Menschen ohne deutschen Pass gestiegen sei oder dass die Opfer dieser Kriminalität wiederum oft Menschen ohne deutschen Pass seien. Er verweist auf Bildung, Altersstruktur und sogar auf Gewalterfahrungen, die Geflüchtete und Menschen ohne deutschen Pass machen mussten.

Auf die suggestive Frage der BILD, ob Migration Deutschland unsicherer gemacht habe, ist es auch wieder Münch, der liefert: Diese Gleichung gehe nicht auf, er verweist auf Integration und darauf, dass es keine Hinweise darauf gebe. Kurzum hält er zwischen den einfachen Lösungen und innenpolitischen Dauerfloskeln die Fahne des Kontexts hoch.

Dass am Ende alle drei Vertreter:innen bei der Pressekonferenz mal wieder die Vorratsdatenpeicherung fordern, ist hingegen weniger verblüffend.

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Reporter ohne Grenzen: Viele Angriffe auf Journalist:innen in Deutschland

9. April 2024 - 16:24

Obwohl die Gewalt gegen Journalist:innen in Deutschland in 2023 zurückgegangen ist, liegt die Zahl der Übergriffe immer noch weit über jener vor der Corona-Pandemie. Das konstatiert ein neuer Bericht von Reporter ohne Grenzen. Die Gefahr kommt meist von rechts, betroffen war auch netzpolitik.org.

So manche Proteste des Vorjahres fielen unter anderem mit Demokratiedefiziten auf. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bihlmayerfotografie

Nach einem dramatischen Anstieg während der Corona-Pandemie ist die Zahl gewalttätiger Übergriffe auf Journalist:innen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen. Das geht aus dem heute veröffentlichen Bericht „Nahaufnahme Deutschland“ der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hervor. 2022 hatte ROG einen Höchststand von mehr als 100 Angriffen gezählt. 2023 waren es „nur“ noch 41 Übergriffe, was immer noch rund drei Mal so viele Fälle sind wie vor der Pandemie.

„Im vergangenen Jahr wurden Reporter wieder verprügelt, ihre Ausrüstung wurde zerstört und ihnen wurde im Internet massiv gedroht“, sagt ROG-Vorstandsmitglied Michael Rediske in einer Pressemitteilung. Zu den dokumentierten Fällen komme eine hohe Dunkelziffer, führt der Bericht weiter aus. Außerdem lasse sich eine neue Form von Angriff auf die Pressefreiheit beobachten: So wurden im Februar 2024 in mehreren Städten die Zufahrten von Presseverteilzentren und Druckereien unter anderem mit Traktoren zugestellt, um die Auslieferung von Zeitungen zu verhindern.

Insgesamt komme ein Großteil der Angriffe aus der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Ecke, schreibt Reporter ohne Grenzen. Mit Sachsen steche ein Bundesland besonders hervor, dort ereigneten sich ROG zufolge 12 verifizierte Angriffe. Dahinter folgen Bayern mit 6 und Berlin sowie Nordrhein-Westfalen mit jeweils 5 Vorfällen.

Bedrohung von rechts

Entsprechend bedroht sind Journalist:innen, die über einschlägige Szenen berichten. So hetzten etwa AfD-Mitglieder öffentlich gegen die Enthüllungsplattform Correctiv und einzelne Reporter:innen, die Anfang des Jahres über ein Rechtsaußen-Geheimtreffen in Potsdam berichtet hatten. Auch soll ein Correctiv-Reporter einen anonymen Drohanruf erhalten haben, so der Bericht.

Von solchen Einschüchterungsversuchen blieb auch netzpolitik.org nicht verschont, das gemeinsam mit Correctiv eine Folgerecherche im rechten IT-Umfeld veröffentlicht hatte. Neben einer Vielzahl wütender E-Mails – leider inzwischen Alltag im journalistischen Bereich – erhielten wir zudem eine Bombendrohung, die so konkret ausfiel, dass wir Anzeige bei der Polizei erstatteten. Unsere Berichterstattung beeinflussen solche Methoden nicht.

Europäische Medienpolitik und Staatstrojaner

In einer Analyse der politischen Rahmenbedingungen greift Reporter ohne Grenzen unter anderem den European Media Freedom Act (EMFA) heraus, der im März 2024 endgültig verabschiedet wurde. Das Gesetz enthalte erstmals EU-weite Regeln, welche die redaktionelle Unabhängigkeit der Redaktionen stärken, politische und wirtschaftliche Einmischung verhindern und die Risiken der Medienkonzentration begrenzen sollen, lobt die NGO. Außerdem verbessere er den Quellenschutz und mache Fortschritte gegen die Überwachung von Journalist:innen. Allerdings überlasse der EMFA den einzelnen EU-Ländern, bei einer Gefährdung der nationalen Sicherheit gegebenenfalls Journalist:innen mit Staatstrojanern zu hacken und zu überwachen.

Generell warnt ROG vor der Gefahr durch staatliche Überwachung und beklagt etwa, dass weder EU-Kommission noch die EU-Länder den Empfehlungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Pegasus-Skandal folgen wollen. Damit sei absehbar, dass es auch künftig in der EU „keine wirksamen Exportkontrollen für Dual-Use-Güter wie Überwachungssoftware geben wird“, heißt es im Bericht. Der kritisiert zudem den bis heute fehlenden Kabinettsbeschluss für einen Gesetzentwurf, der die Eingriffsschwellen für den Einsatz von Spähsoftware erhöhen soll.

Überwiegend positiv sieht ROG die im Vorjahr auf Schiene gebrachten Eckpunkte für ein Gesetz gegen digitale Gewalt, wenngleich sich bis heute noch nicht einmal ein Referentenentwurf materialisiert hat. Auch das im Vorjahr in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz begrüßt ROG, kritisiert jedoch Einschränkungen, die öffentliches Whistleblowing über Medien nur als allerletzen Ausweg vorsehen.

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Kategorien: Externe Ticker

Leistungen für Asylsuchende: Anwaltsverein lehnt Bezahlkarte ab

9. April 2024 - 15:36

Der Deutsche Anwaltverein schaltet sich in die Diskussion um Bezahlkarten ein: Das Existenzminimum sei nicht mehr sicher, wenn Bundesländer selbst etwa entscheiden könnten, wie viel Bargeld mit den Karten abgehoben werden kann. Das könnte zu einer Welle an Klagen führen.

Bezahlkarte statt Bargeld: Damit kommt man nicht überall weiter. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Unsplash / Marksus Spiske

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete und Asylsuchende ab. Die Einführung einer solchen Karte läge zwar grundsätzlich im Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung, schreibt der Verein. Jedoch müssten die Gesetzgeber in so einem Fall dafür sorgen, dass die Karte ohne Einschränkungen genutzt werden kann und dass das Existenzminimum gesichert ist. Das sei nach dem jetzigen Gesetzentwurf der Ampelkoalition nicht der Fall.

Die Ampel-Fraktionen haben sich nach wochenlangem Streit vor einigen Tagen auf einen Entwurf für eine bundesweite Rechtsgrundlage zur Einführung der Bezahlkarte geeinigt. Sie wollen die Gesetzesänderung im Asylbewerberleistungsgesetz verankern. Die Ausgestaltung der Karten bliebe laut dem Entwurf den Bundesländern überlassen. Diese können nach eigenem Ermessen entscheiden, ob und in welcher Höhe etwa Bargeld mit der Karte abgehoben werden kann, ob die Karten regional begrenzt werden oder wie Online-Käufe und Überweisungen damit getätigt werden dürfen.

Überweisung erst nach Genehmigung

Dadurch sei das Existenzminimum nicht sicher gewährleistet. „Zum Führen eines Lebens, das der Würde des Menschen entspricht, gehört es auch, die Möglichkeit einzuräumen, die im Rahmen der Mittellosigkeit beanspruchten Leistungen für die Bedarfsdeckung frei und ohne Auffälligkeiten zu gestalten“, schreibt der Verein. „Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland – möglicherweise nicht auf Dauer – aufhalten.“

Zu welchen konkreten Problemen das im Alltag führen kann, beschreibt der Verein in einer ausführlichen Stellungnahme zum Gesetz. In vielen Geschäften ist Kartenzahlung in Deutschland gar nicht möglich, teils lässt sich die Karte erst ab einer bestimmten Summe einsetzen. In vielen anderen Situation im Alltag könne man nur bar bezahlen, etwa den Einkauf auf Flohmärkten oder im Kiosk an der Ecke. Was, wenn die Karte am Wochenende außerhalb der Erreich­barkeit der Behörde verloren geht, gestohlen wird oder der Kartenleser im Lebens­mit­tel­ge­schäft ausfällt?

Technisch ist es zudem möglich, die Bezahlfunktionen der Karte zu beschränken. Überweisungen, Online-Käufe oder die Teilnahme an Lastschriftverfahren sollen erst auf Antrag möglich sein und müssen von der zuständigen Verwaltung genehmigt werden. Was aber, wenn etwa die Waschmaschine in Raten bezahlt werden soll und die Kommune die nächste Rate nicht freigibt? Auch wenn Menschen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, müssen gemeinsame Kosten an den Partner überwiesen werden.

„Absehbare Konflikte werden eine Vielzahl von Widerspruchs-, Eil- und Klagever­fahren nach sich ziehen“, prognostiziert der Verein. „Das wird zu einer erheblichen Mehrbelastung der Verwaltung und der Justiz und damit zu erhöhten Kosten führen.“

14 Länder mit gemeinsamem System

Der Bundeskanzler und die Ministerpräsident:innen der Länder haben sich im November auf eine bundeseinheitliche Bezahlkarte geeinigt. Eine Arbeitsgruppe hatte bis Ende Januar ein Modell erarbeitet. 14 Bundesländer planen ein gemeinsames System, auch wenn sich die konkreten Einschränkungen unterscheiden können. Das Vergabeverfahren dafür führt Dataport durch, ein IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung mehrerer Bundesländer. Es soll bis zum Sommer abgeschlossen sein.

Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigene Bezahlkarten. In Bayern ist das System seit März bereits im Einsatz. Auch Hamburg, das sich an der gemeinsamen Ausschreibung beteiligt, hat die Bezahlkarte seit Februar bereits eingeführt. Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt sollen in die Planungen einfließen.

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Kategorien: Externe Ticker

Autonome Waffensysteme: „Es braucht dringend klare Verbote und Vorschriften“

9. April 2024 - 15:01

Die israelische Armee soll im Gaza-Krieg sogenannte künstliche Intelligenz einsetzen, um Hamas-Ziele zu identifizieren. Die israelischen Streitkräfte widersprechen entsprechenden Medienberichten. Dessen ungeachtet fordert Thomas Küchenmeister von der Internationalen Kampagne zum Verbot der Killerroboter, autonome Waffensysteme weltweit strenger zu regulieren.

„Lavender“ soll im Gazastreifen automatisiert zehntausende Ziele ausgewählt haben – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Xinhua

Im Gaza-Krieg setzt die israelische Armee angeblich ein KI-System ein, um gezielt Personen ausfindig zu machen, die mit der Hamas in militärischer Verbindung stehen. Sechs israelische Geheimdienstoffiziere, die namentlich nicht genannt werden, äußerten sich entsprechend gegenüber dem Online-Magazin +972. Demnach würden die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) Systeme künstlicher Intelligenz dazu nutzen, um potenzielle Ziele auszumachen und zu kennzeichnen.

Das System Lavender

Das Programm „Lavender“ (zu Deutsch: Lavendel) soll seit Kriegsbeginn Ende Oktober 37.000 mögliche Ziele identifiziert haben. Bei den meisten soll es sich laut der Quellen um Hamas-Kämpfer niedrigen Ranges handeln. Das System soll die Unit 8200, eine Eliteeinheit des israelischen Geheimdienstes, entwickelt haben. Wie Lavender genau funktioniert oder trainiert wurde, ist öffentlich nicht bekannt.

Angeblich sei die Unit 8200 nach einer stichprobenartigen Überprüfung zu dem Schluss gekommen, dass Lavender über eine 90-prozentige „Trefferquote“ verfüge. Das habe die IDF dazu veranlasst, den umfassenden Einsatz des Systems als Instrument für Zielempfehlungen zu genehmigen. Laut der Quellen greife das System auf eine Datenbank zu, die Informationen von zehntausenden Personen enthält. Der Artikel sagt nichts darüber, wie die vermeintlich algorithmische Entscheidungsfindung im Detail funktioniert.

Die Quellen betonen, wie sehr das System ihre Arbeit vereinfacht habe. „Ich hatte keinerlei Mehrwert als Mensch, abgesehen davon, dass ich als Gütesiegel fungierte.“ Der Zeitaufwand, um ein militärisches Ziel zu bestätigen, habe in der Regel nur rund 20 Sekunden betragen. Meist sei nur geprüft worden, ob die Zielperson männlich sei.

„Jeder hier, auch ich, hat am 7. Oktober Menschen verloren“, so eine Quelle gegenüber +972. „Die Maschine hat das kühl berechnet, und dadurch wurde es leichter.“

IDF weist Recherche-Ergebnisse zurück

Insbesondere zu Beginn des Krieges habe die IDF das System häufig eingesetzt. Die Streitkräfte sollen demnach in kurzer Zeit möglichst viele Zielvorgaben gefordert haben, um massiv gegen die Hamas vorgehen zu können. In den ersten Wochen habe die israelische Armee die Genehmigung erteilt, wonach für jedes Ziel, das „Lavender“ markiert habe, bis zu 15 bis 20 Zivilist:innen getötet werden dürften. Lavender sei ergänzend zu einem anderen System namens The Gospel eingesetzt worden, das Gebäude und andere Strukturen als Ziele vorschlage.

Bei den militärischen Einsätzen habe die IDF dann vor allem „dumme Bomben“ eingesetzt, die nicht ins Ziel gelenkt werden und kostengünstiger sind. Diese Bomben sind vergleichsweise ungenau, weshalb ihnen tendenziell auch mehr Zivilist:innen zum Opfer fallen.

Die israelische Armee bestreitet gegenüber dem britischen Guardian, Systeme künstlicher Intelligenz dafür einzusetzen, „die Terroristen identifizieren oder versuchen vorherzusagen, ob eine Person ein Terrorist ist“. Lavender sei vielmehr eine Datenbank mit geheimdienstlichen Informationen, die dabei helfe, „aktuelle Informationen über die Militärangehörigen terroristischer Organisationen zu erhalten“.

Jedes Ziel werde individuell hinsichtlich des zu erwartenden militärischen Vorteils und der drohenden Kollateralschäden bewertet, so die IDF. Die Streitkräfte würden keine Angriffe durchführen, wenn die zu erwartenden Kollateralschäden zu groß ausfallen. Die Bewertung erfolge durch die Befehlshaber sowie „auf einer Vielzahl von Bewertungsmethoden und nachrichtendienstlichen Maßnahmen“, so die israelische Armee weiter.

Forderung nach strenger Regulierung

„Streng genommen ist das Lavender-System für sich keine autonome Waffe“, sagt Thomas Küchenmeister von der Internationalen Kampagne zum Verbot der Killerroboter gegenüber netzpolitik.org. Allerdings könne es als Bestandteil eines komplexen autonomen Systems dazu genutzt werden, etwa in Verbund mit sogenannten Battlefield Management Systemen (BMS) und einem Sensor-to-Shooter-System wie das israelische Fire Weaver.

„Lavender steht mit Einschränkungen schon jetzt für den zunehmend unkontrollierten Einsatz künstlicher Intelligenz in Konflikten“, so Küchenmeister, „und damit für eine verstörende digitale Entmenschlichung und den Verlust menschlicher Kontrolle bei der Anwendung von Gewalt.“ Weil es eine Person auf einen Datenpunkt reduziere, stehe das System vermutlich im Widerspruch zum internationalen Völkerrecht und verletze die Menschenwürde.

Anfang November vergangenen Jahres hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine kritische Resolution zu autonomen Waffensystemen beschlossen. Aus Sicht von Thomas Küchenmeister zeige der zunehmende Einsatz von derartigen Systemen vor allem eines: „Es braucht dringend klare Verbote und Vorschriften in Bezug auf autonome Waffensysteme durch das internationale Recht“.

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Prominente Links: Wir tickern!

9. April 2024 - 14:02

Ab heute haben wir einen Nachrichten-Ticker auf der Startseite. Damit wollen wir euch noch besser auf dem Laufenden halten, euch an unserem täglichen Monitoring teilhaben und einen Grundgedanken des Internets aufleben lassen.

Andere Medien haben auch schöne Texte! – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Zoonar

Wenn ihr heute unsere Startseite besucht, seht ihr etwas Neues: einen Ticker. Dort und auf der Übersichtsseite findet ihr ab jetzt Links zu wichtigen, spannenden und interessanten Inhalten von anderen. So wollen wir euch netzpolitisch noch besser auf dem Laufenden halten – auch wenn wir die verlinkten Texte selbst nicht geschrieben haben.

Wir finden: Gute Inhalte auf anderen Seiten sind nicht schlecht, sondern toll. Im Schnitt enthalten Artikel von Netzpolitik mehr als elf Links, etwa zwei Drittel davon gehen nach „draußen“. Wir machen das, was sich andere Medien immer noch selten trauen: extern verlinken. Und mit dem Ticker jetzt sogar prominent auf der Startseite. Wir sehen es nicht als Konkurrenz, wenn andere coole Dinge machen. Das Wichtigste für uns ist, dass ihr euch selbstbestimmt und gut informieren könnt.

Außerdem: Links sind der Grundgedanke des Internets, also verlinken wir nicht weniger, sondern mehr. Der US-amerikanische Journalist Jeff Jarvis hat das einmal gut zusammengefasst: „Cover what you do best. Link to the rest.“ Und genau das wollen wir tun.

Wir lassen euch an unserem täglichen Monitoring teilhaben

Das Thema Netzpolitik ist so groß geworden, dass wir selbst mit doppelt so vielen Redakteur:innen wie aktuell nicht alles Relevante in Artikelform abdecken könnten. Schon jetzt konzentrieren wir uns auf die Dinge, die vor allem wir machen und die wir am besten können: Zivilgesellschaftliche Perspektiven auf digitale Themen einbringen, kritisch und gemeinwohlorientiert berichten, hartnäckig recherchieren, dranbleiben und einordnen. Das alles fällt nicht weg, aber wir ergänzen das nun.

Mit dem Ticker wollen wir euch auch an der Arbeit teilhaben lassen, die wir sowieso täglich machen: nämlich jede Menge netzpolitisch Relevantes zu beobachten. Wir sammeln und bewerten ständig viele Ereignisse und Berichte. Einiges davon besprechen wir in unseren täglichen Redaktionskonferenzen, an der Kaffeemaschine oder im Redaktions-Chat, manches verbreiten einzelne von uns in sozialen Medien. Doch sonst dringt von dieser Arbeit wenig nach außen – das ändern wir jetzt! Kurz und knapp und vor allem: informativ.

Schreibt uns gern in die Ergänzungen, was ihr davon haltet. Genauso, wenn ihr Verbesserungsvorschläge habt. Und jetzt: Viel Spaß!

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Weizenbaum Report 2024: Politische Partizipation verlagert sich ins Netz

9. April 2024 - 11:51

Eine aktuelle Studie des Weizenbaum-Instituts beleuchtet, wie sich die politische Teilhabe hierzulande entwickelt. Im Fokus steht auch das Thema Künstliche Intelligenz – und wie die Menschen diese nutzen und bewerten.

Digitale Medien gewinnen an Einfluss – auch im Kontext von Protest und politischer Teilhabe. – CC-BY-SA 2.0 Osvaldo Gago

Krisen und Konflikte prägen aktuell die öffentlichen Debatten. Welche Auswirkungen hat dies für die politische Beteiligung hierzulande? Dieser Frage geht eine Forschungsgruppe des Weizenbaum-Instituts in Berlin nach. Zum fünften Mal untersucht sie, wie sich im Laufe des zurückliegenden Jahres die politischen Partizipationsformen verändert haben.

Die jährlich veröffentlichte Studie erhebt das soziale Engagement der Deutschen – sowohl offline als auch im Internet. Weiterhin sammeln die Forschenden Informationen darüber, wie sich Mediennutzung und der Umgang mit Fake News verändern. Der aktuelle Bericht evaluiert zudem die Haltung der Bürger:innen gegenüber sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) und den sozialen Medien.

Insgesamt zeigt sich die politische Partizipation in Deutschland zwischen den Jahren 2022 und 2023 leicht rückläufig. Aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse könnten dabei eine Rolle spielen, sagen die Autor:innen der Studie. Eine kurzfristige Abnahme einzelner Beteiligungsformen bedeute nicht zwangsläufig, dass sich Bürger:innen generell aus politischen Angelegenheiten zurückzögen.

Schwankungen bei klassischen Beteiligungsformen

Insbesondere herkömmliche Formen politischer Beteiligung nahmen in den vergangenen fünf Jahren ab. Allerdings sei unklar, ob dies auf eine generelle Entfremdung der Bevölkerung von politischen Repräsentant:innen zurückzuführen ist oder sich das Engagement in andere Bereiche verschiebe. Eine mögliche Erklärung sehen die Wissenschaftler:innen in der Digitalisierung, wodurch sich immer mehr Partizipationsformen ins Internet verlagern. Es sei denkbar, dass Bürger:innen davon ausgehen, dass sie die Politik über soziale Medien besser beeinflussen können als über klassischen Formen der Partizipation.

So unterschreiben Menschen etwa immer seltener Petitionen in der Fußgängerzone. Auch sei es weniger beliebt, andere Menschen politisch zu mobilisieren oder den direkten Kontakt zu Politiker:innen zu suchen. Auch auf Demonstrationen zu gehen oder Spenden zu geben, ist unbeliebter denn je. In den Jahren 2022 und 2021 befand sich die Spendenbereitschaft mit 62 bzw. 64 Prozent noch auf einem Hoch. Dieser Wert fiel im vergangenen Jahr auf 54 Prozent. Eine mögliche Erklärung könnte laut den Forschenden die wirtschaftliche Rezession sein.

Zuwachs gab es 2023 bei Parteimitgliedschaften. Außerdem ist die Bereitschaft, in einer sozialen Organisation mitzuarbeiten, seit Beginn der Studienerhebungen erstmals wieder angestiegen. Den Anstieg um zwei Prozentpunkte interpretieren die Wissenschaftler:innen als postitiv, allerdings statistisch nicht sigifikant. Es ließe sich nicht davon sprechen, dass das ehrenamtliche Engagement sich seit dem Rückgang während der Pandemie wieder erholt habe, teilen die Weizenbaum-Autoren Christian Strippel und Martin Emmer auf Anfrage mit.

Einsatz gegen Hassrede und Falschinformationen

Der Bericht setzt sich auch damit auseinander, wie Menschen mit Falschnachrichten und Hasskommentaren im Internet umgehen. Die Wahrnehmung von sogenannter Hassrede bewegt sich seit einigen Jahren stabil auf hohem Niveau. Rund 40 Prozent der Befragten kamen im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben mit Fehlinformationen in Kontakt. Da es sich um eine Selbsteinschätzung handelt, kann die Studie keine Aussagen darüber treffen, wie viele Fake News unerkannt bleiben oder missinterpretiert werden.

Counterspeech ist nach wie vor eine verbreitete Taktik, um Hass und Falschnachrichten entgegenzuwirken. Allerdings ist hier die Aktivität im vergangenen Jahr leicht rückläufig. Während der Corona-Pandemie haben noch 41 Prozent derer, die Hasskommentare gesehen haben, mit einer Aufforderung zu Respekt reagiert. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 32 Prozent. Auch bei Falschnachrichten sinkt die Bereitschaft, andere zu warnen: 2021 taten dies 64 Prozent, 2023 waren es nur noch 53 Prozent.

Die Forschenden heben hervor, dass es je nach Altersklasse große Unterschiede gibt, wie Menschen im Netz Hass und Fake News wahrnehmen und sich dagegen einsetzen. 77 Prozent der unter 35-Jährigen gaben an, innerhalb des vergangenen Jahres auf Hass gestoßen zu sein. Bei Menschen über 64 Jahren waren es nur 21 Prozent. Jüngere sind auch aktiver, wenn es darum geht, Nachrichten zu überprüfen und problematische Inhalte zu melden. Die Autor:innen begründen dies mit besseren technischen Kenntnissen jüngerer Menschen. Bei der Einforderung von Respekt sind ältere Menschen indes ebenso engagiert wie jüngere Generationen.

Digitale Kluft bei der Mediennutzung

Daran schließt ein weiterer zentraler Befund der Studie an, wonach es eine erkennbare „digitale Kluft“ bei der Mediennutzung gibt. Vor allem Männer mit höherem Bildungsgrad – konkret 78 Prozent von ihnen – nutzen das Internet, um sich über das politische Tagesgeschehen zu informieren. Bei Menschen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss sind es 51 Prozent.

Nur 59 Prozent der Frauen nutzen das Netz zu diesem Zweck – insgesamt viel seltener als Männer. Aus Sicht der Studien-Autor:innen ein ernüchterndes Ergebnis. Das Internet schuf einst große Hoffnungen, allen Menschen politische Informationen niedrigschwellig zugänglich zu machen und so die Kluft zwischen mehr und weniger informierten Bürger:innen zu schließen.

Grundsätzlich entwickele sich die politische Mediennutzung hierzulande aber zum Digitalen hin: Radio und Zeitungen verlieren an Bedeutung. Die Zahl der Internetnutzenden sei in den vergangenen Jahren zwar angestiegen, gegenwärtig stagniere die Zahl allerdings. Knapp zwei Drittel der Menschen gaben 2022 und 2023 an, das Netz mehrmals pro Woche zu nutzen, um sich politisch zu informieren. An erster Stelle steht hier aber nach wie vor – ebenfalls auf gleichbleibenden Niveau – das Fernsehen: Nutzten im Jahr 2021 noch 76 Prozent der Deutschen das Fernsehen als Informationsquelle, sank dieser Wert in den vergangenen zwei Jahren um zwei Prozentpunkte.

Einstellungen zu Künstlicher Intelligenz

Der aktuelle Weizenbaum Report erörtert außerdem, wie es um die Einstellung der Bürger:innen gegenüber digitalen Innovationen steht. Während das Internet als Ganzes überwiegend positiv gesehen wird, zeigen sich die Menschen uneins, wie sie soziale Medien und KI bewerten. 27 Prozent sehen Social Media eher negativ, 32 Prozent tun dies bei KI. Die mediale Aufmerksamkeit rund um ChatGPT und bildgenerierende Systeme Künstlicher Intelligenz hat diese Technologie offenbar nicht in ein besseres Licht rücken lassen – im Jahr 2022 sah nur ein Viertel der Befragten diese Technologie kritisch.

Auch hier weist die Studie jedoch große Unterschiede zwischen den Altersgruppen nach: Die über 64-Jährigen sind im vergangenen Jahr weniger begeistert von KI als noch 2022. Fast die Hälfte der unter 35-Jährigen sieht (46 Prozent) sieht KI jedoch positiv; im Vorjahr waren es noch 31 Prozent der Befragten.

Erstmals wurde in der Befragung auch die persönliche Nutzung von Künstlicher Intelligenz berücksichtigt. Dabei gab ein Großteil der Deutschen an, die Technik im Bildungskontext bereits genutzt zu haben. Auch im Arbeitsleben haben 70 Prozent schon einmal KI-Systeme eingesetzt. In der Freizeit findet die Technologie bisher wenig Anwendung – nur 20 Prozent der Befragten verwenden sie im Privaten.

In Panel-Befragungen werden Menschen wiederholt interviewt

Die Ergebnisse des diesjährigen Reports stellt das Weizenbaum-Institut heute um 18 Uhr in einer digitalen Veranstaltung vor. Sprecher:innen sind Felicitas Strickmann, Jonas Fegert, Aimo Görne und Christian Strippel. Im Fokus der Veranstaltung stehen die Herausforderungen der Digitalisierung für junge Menschen.

Die jährliche Untersuchung des Weizenbaum-Instituts und der Freien Universität Berlin beruht auf einer Telefonbefragung. Im Herbst 2023 wurden 2.170 Personen in durchschnittlich 30-minütigen Interviews befragt, wobei 47 Prozent bereits im Vorjahr teilgenommen hatten. Dadurch, dass viele Personen wiederholt befragt werden, lässt sich ein genaueres Bild vom Zeitverlauf des Engagements zeichnen, so die Autor:innen.

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Pressefreiheit in China: Schikaniert, bedroht und mit Drohnen verfolgt

8. April 2024 - 17:59

Die Spielräume für Berichterstattung werden auch für die ausländische Presse in China immer enger. In einer Umfrage beklagen drei Viertel der Auslandskorrespondent:innen im Land Schikanen und Behinderungen ihrer Berichterstattung.

Etwa die Hälfte der Auslandsreporter:innen berichtet, dass ihre Arbeit durch die Polizei eingeschränkt wurde. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Pond5 Images

Die Arbeit für Journalist:innen wird in China auch nach den Einschränkungen der Corona-Pandemie weiter beeinträchtigt. Das ergibt eine Umfrage unter 101 Auslandskorrespondent:innen (PDF), welche der Foreign Correspondents’ Club of China heute veröffentlicht hat. Der Verband gibt jährlich solche Berichte über die Medienfreiheit im Land heraus.

Mit 99 Prozent beklagten fast alle Befragten, dass die Pressefreiheit selten oder nie internationale Standards erreiche. Die Möglichkeiten der Berichterstattung erreichten nicht mehr das – auch damals niedrige – Niveau aus Vor-Corona-Zeiten.

Laut der Umfrage wurden vier von fünf Auslandsjournalist:innen während ihrer Arbeit behindert, belästigt oder gar Opfer von Gewalt. Dies ist insbesondere in „sensiblen Regionen“ wie Xinjiang der Fall, wo die uigurische Minderheit verfolgt wird. Dort wurden 85 Prozent der Befragten bei der Arbeit schikaniert.

In mindestens zwei anderen Fällen setzte die Polizei sogar Drohnen ein, um die Journalist:innen bei der Arbeit zu überwachen und zu stören. So berichtet ein namentlich nicht genannter Journalist eines europäischen Mediums:

Auf einer kürzlichen Reise in zwei verschiedene Provinzen, auf der wir den Zusammenhang zwischen Klimawandel und extremen Wetterereignissen recherchierten, wurden wir von mehreren Wagen mit zivilen Polizeibeamten verfolgt. Drohnen wurden losgeschickt, um uns zu verfolgen und zu beobachten, wenn wir aus unserem Fahrzeug stiegen um Interviews zu filmen/zu sammeln. Wenn wir uns zu Fuß zu einem bestimmten Ort bewegten, folgten uns die Drohnen.

Große Mehrheit geht von engmaschiger Überwachung aus

Etwa drei Viertel der Befragten gehen davon aus, dass der chinesische Staat ihre Telefone überwacht, und mehr als die Hälfte, dass die Redaktionsräume und Wohnungen verwanzt sind.

Die Arbeit der Presse wird aber auch auf anderem Wege erschwert: So berichten zahlreiche Redaktionen, dass China keine neuen Visa für Journalisten erteile und die Redaktionen deswegen unterbesetzt seien.

Neben solchen Methoden schüchtert der Staat auch Interviewpartner:innen ein. Laut der Umfrage hat etwa ein Drittel die Erfahrung gemacht, dass Interviews und Termine wegen Einschüchterungen in letzter Minute abgesagt wurden. Eingeschüchtert werden auch die chinesischen Mitarbeiter:innen der Auslandsredaktionen. Dass dies geschehe, berichtet knapp die Hälfte der Befragten.

Einengung der Berichterstattung

Die Journalist:innen, die nur noch eingeschränkt reisen und nicht mehr auswählen könnten, mit wem sie sprechen, seien nicht in der Lage, Themen zu vertiefen und ein nuanciertes Bild des Landes zu zeichnen, beklagt der Verband. „Das Ergebnis ist eine Berichterstattung über China, die weniger und weniger repräsentativ ist und sich mehr auf die Geopolitik und die bilateralen Beziehungen konzentriert als auf die Lebenserfahrungen des chinesischen Volkes“, so der Verband weiter.

Nicht Eingang in die Befragung hat das kürzlich beschlossene „Sicherheitsgesetz“ in Hongkong gefunden, das die Grundrechte der Bewohner:innen und der Presse weiter beschneidet. Schon zuvor hatte China wiederholt regierungskritische Medien in der britischen Ex-Kolonie kaltgestellt. Insgesamt ist ein klarer Trend zu mehr Repression zu beobachten: Zuletzt hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Macht in der Einparteiendiktatur China noch weiter ausgebaut.

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Eurodac: Der biometrische Albtraum im Herzen des EU-Asylsystems

8. April 2024 - 14:09

Die anstehende Eurodac-Reform ist viel mehr als reine technische Anpassung des Fingerabdruck-Systems. Sie können im Kontext des „Neuen Migrationspakts“ der EU die Gewalt gegen Menschen auf der Flucht massiv verschärfen.

Seit der Vorstellung von Eurodac ist das Fingerabdrucksystem immer wieder erweitert worden. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Belga

Dieser Text erschien zuerst auf Englisch bei EU Observer. Übersetzung von Hannes Stummer und Angela Büttner.

Die Europäische Union wird am 10. April 2024 über ein neues Paket von Asyl- und Migrationsreformen abstimmen. Unter den vielen umstrittenen Änderungen, die im „Neuen Migrationspakt“ vorgeschlagen werden, blieb eine weitgehend unbemerkt – eine scheinbar harmlose Reform der EU-Asyldatenbank EURODAC.

Das System besteht seit 2003 und enthält bisher Fingerabdrücke von Asylsuchenden und illegalisiert eingereisten Personen. Allein im Jahr 2022 übertrugen die EU-Mitgliedstaaten 1,5 Millionen Fingerabdruck-Datensätze an die EURODAC-Datenbank.

Obwohl die geplanten Reformen als rein technische Anpassungen des Fingerabdruck-Systems dargestellt werden, ist die Realität weitaus schwerwiegender. Die Änderungen an EURODAC werden die Gewalt gegen Menschen auf der Flucht massiv verschärfen.

Die Reform dieser 20 Jahre alten Datenbank macht sie zum verlängerten Arm der feindlichen Asyl- und Grenzpolitik der EU. Zu diesem Zweck werden die problematischsten Überwachungstechnologien eingesetzt, die uns zur Verfügung stehen: nämlich die Erfassung, Verarbeitung und Analyse biometrischer Daten, die die vollständige Kontrolle über den Körper und die Bewegung von Schutzsuchenden ermöglichen.

Biometrische Daten zur Kontrolle von People of Color

Mit der Erfassung biometrischer Daten ist der Körper für viele längst zum „Reisepass“ geworden. Bei der Biometrie werden Daten aus den biologischen oder physiologischen Merkmalen einer Person gewonnen. Fingerabdrücke, Gesichtsbilder und Iris-Scans gehören zu den Formen der Biometrie, die von den Staaten am häufigsten zur eindeutigen Identifizierung einer Person verwendet werden.

Historisch gesehen ist die Identifizierung jedes einzelnen Individuums der Schlüssel für die Organisation staatlicher Kontrolle und Herrschaft über die Bevölkerung. Sie ermöglicht es den staatlichen Behörden insbesondere, die Bewegungen der Menschen zu verfolgen, zu überwachen und einzuschränken. Es überrascht also nicht, dass die Biometrie zum Kernstück der sich ausweitenden technologischen Überwachungssysteme der Staaten wird. Und es überrascht noch weniger, dass sie Teil der Migrationskontrollpolitik ist. Denn der Ursprung der biometrischen Überwachung geht auf koloniale Praktiken der Beherrschung und Diskriminierung marginalisierter Personengruppen zurück.

Im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels wurden Technologien entwickelt, um People of Colour als Gefangene und Eigentum zu kennzeichnen, zu identifizieren und weltweit zu verfolgen. Die in den 1880er Jahren von Alphonse Bertillon entwickelten forensischen Erkennungsmethoden – die eine biometrische Erfassung von Gesichts- und Körpermerkmalen sowie Fingerabdrücken und Fotografien von kriminellen Verdächtigen umfassten – wurden vor allem in den Kolonien des französischen Reiches angewandt, um die Ordnung und den Fortbestand des Kolonialregimes zu gewährleisten.

Ebenso führten die britischen Kolonialherren das erste groß angelegte biometrische Erkennungsverfahren mit Fingerabdrücken zur Kontrolle in Indien durch. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um die Identität von Migrant:innen festzustellen und die individuelle Überwachung von Arbeitsmigrant:innen und Reisenden auszuweiten, wie etwa die Verfolgung von chinesischen Arbeiter:innen in Indochina und Pilger:innen in Indien.

Das bedeutet, dass die biometrische Registrierung als Ersatz für die Dokumentenregistrierung für alle nicht weiß-gelesenen Menschen zum ersten Mal Realität wurde. Das betraf vor allem diejenigen, die auf der Flucht waren.Die Politik der EU ist eine Fortsetzung dieser Geschichte. Ihre erste zentrale biometrische Datenbank, die Europäische Datenbank für Asyl-Daktyloskopie (EURODAC), wurde eingerichtet, um Personen zu registrieren, die illegal Außengrenzen überqueren. Außerdem wollte man sogenannte Sekundärbewegungen von Asylbewerbenden innerhalb der EU regulieren, also wenn sie von ihrem ersten Einreiseland in das Kerngebiet der EU weiterreisen.

Mit der laufenden Reform von EURODAC wird die massenhafte und routinemäßige Identifizierung von Asylsuchenden, Flüchtenden und Migrant:innen durch die Verarbeitung biometrischer Daten zum Herzen des unmenschlichen Asylsystems der EU.

Die EURODAC-Reform vervielfacht die Schäden der gewalttätigen EU-Migrationspolitik

Die vorgeschlagene Reform wird als „reine Formsache“ dargestellt, doch in Wirklichkeit ist ihre Umsetzung hochpolitisch – sie wird die gewalttätige Behandlung von Migrant:innen in der EU technisch kodifizieren. Das bedeutet systematische Kriminalisierung, Inhaftierung unter gefängnisähnlichen Bedingungen und rasche Ausweisung. Die Überwachungsfunktionen von EURODAC werden verstärkt, um dieses feindliche und schädliche System umzusetzen.

Bislang konzentrierte sich die Datenbank auf Fingerabdrücke, künftig sollen aber etwa auch biometrische Fotos erfasst werden. Die Erhebung zusätzlicher biometrischer Daten wurde von den politischen Entscheidungsträger:innen damit begründet, dass Berichten zufolge einige Asylbewerber:innen ihre Finger freiwillig verbrennen und verletzen, um ihre Fingerabdrücke unkenntlich zu machen und eine Identifizierung zu vermeiden.

Für Menschen auf der Flucht bedeutet dieses Erkennungsverfahren das unmittelbare Risiko, inhaftiert zu werden, in einen anderen Mitgliedstaat zurückgeschickt zu werden, den sie zuvor in der Regel wegen der schrecklichen Aufnahmebedingungen und der geringen Chancen auf eine menschenwürdige Integration verlassen haben oder um in sogenannte „sichere Drittstaaten“ abgeschoben zu werden, wo ihnen Verfolgung und Folter drohen.

Dass Menschen gezwungen sind, sich selbst zu verletzen, um nicht identifiziert zu werden, sieht die EU nicht als Zeichen dafür , dass die Migrationspolitik humaner werden muss. Stattdessen hat die EU beschlossen, einen Weg zu finden, der Migrant:innen weiter überwacht und terrorisiert. Auch EURODAC wird zu einem Massenüberwachungsinstrument umfunktioniert, indem noch mehr Personengruppen als bisher ins Visier genommen werden. Dazu gehört auch die Erfassung der Daten von Kindern ab sechs statt wie bisher 14 Jahren.

Trotz einiger Bemühungen, die Datenerhebung auf „kinderfreundliche“ Weise durchführen zu lassen, werden Kinder dadurch einem ernsthaft invasiven, ungerechtfertigten und stigmatisierenden Verfahren ausgesetzt . Dabei sind in der EU Kinder unter 16 Jahren gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht einmal in der Lage , der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten freiwillig zuzustimmen. In der Zwischenzeit werden die Gesichter von Migrant:innenkindern gescannt und ihre Fingerabdrücke in Grenzlagern und Auffanglagern dokumentiert.

Zudem können die Polizeibehörden inzwischen ohne jegliche Vorab-Bedingung auf die EURODAC-Daten zugreifen. In der Praxis bedeutet dies, dass EURODAC prinzipiell die Illegalität aller Asyl- und Schutzsuchenden annimmt.

Die EURODAC-Reform ist ein Beispiel für rassistische Doppelmoral

Die biometrische Überwachung im Rahmen von EURODAC dient einzig und allein dem Zweck, die Macht und Kontrolle über Migrant:innen zu erhöhen, die durch ungerechte Migrationspolitik und -praktiken bereits eine der vulnerabelsten Gruppen sind. Sie ist übergriffig, unverhältnismäßig und steht im Widerspruch zu Europas selbst gesetzten Datenschutzstandards. Die EU baut also derzeit innerhalb ihres eigenen Rechtsrahmens für den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz eine Ausnahmeregelung auf, in der Menschen auf der Flucht anders behandelt werden.

Die Reform von EURODAC zeigt auch einen größeren Trend in Europa: Migrationsmanagement und Verbrechensbekämpfung werden vermischt, indem Menschen, die Sicherheit und Schutz suchen, in polizeilicher Logik mit Sicherheitsbedrohungen gleichgesetzt werden. Der besondere Fokus auf die Erstellung von Risikoprofilen, die auf diskriminierenden Annahmen und Assoziationen beruhen, führt dazu, dass nicht weiß-gelesene Menschen und Migrant:innen übermäßig überwacht und ins Visier genommen werden.

Mit der massiven Ausweitung zentralisierter Datenbanken wie EURODAC kann die EU diese rassistische Doppelmoral nicht länger verbergen.

Chloé Berthélémy ist Senior Policy Advisor bei European Digital Rights (EDRi), Laurence Meyer ist tätig bei Digital Freedom Fund, Weaving Liberation. Hannes Stummer arbeitet bei epicenter.work, Angela Büttner ist Soziologin, Sprachwissenschaftlerin und Mitglied bei D64.

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